Jörg Göller rechnet: Seinen 49. Geburtstag wird er am 1. Februar feiern. "Ich bin nicht alt", sagt er, und konkretisiert es gleich: "In der Musik sind alle gleich alt." Gerade hat er Pause zwischen zwei Klavierschülern und kann entspannt und spannend erzählen, auf welch untypischen Wegen er zur Musik kam und zu all den schönen Lehr- und Dirigier-Aufgaben und den guten Ideen - wie etwa der, mit einem Bürgerchor Carl Orffs "Carmina Burana" auf die Bühne zu bringen oder mit Flüchtlingskindern ein Kindermusical einzustudieren: "Magic Drum".
Musik studiert an einer Hochschule hat Jörg Göller nie, aus einer Musikerfamilie stammt er auch nicht. Niemand in der Familie hörte Klassik. Die Mutter erklärt dem kleinen Jörg in seiner Heimat Freising aber früh die Noten: "c d e f g a h c, ein einziges Mal. Von da an konnte ich Noten lesen. Vor den Buchstaben." Der Vater schenkt ihm dann eine Mundharmonika, eine Melodica. Eine kleine Gebläse-Orgel mit nur zwei Oktaven wird sein "Ein und alles". Er lernt aus einem alten Volksliederbuch und versucht dann, "selbst etwas zu erfinden, zu komponieren".
Im Gymnasium spielt ein Musiklehrer der Klasse eine Schallplatte über Beethovens Leben vor - für Göller war das "ein Schlüsselerlebnis". Anschaulich erzählt er seine Entdeckungsreise in die Welt der Musik, der Musiker und Komponisten. "Wie ein Archäologe", vergleicht er. "Wichtig war das Gefühl dabei." Er hört Klassikradio, träumt von einer Karriere als Radiomoderator, will sich mit seinen Spezialkenntnissen in einer Quizsendung bewerben, beneidet aber auch die "Hitparade"-Stars um ihre Auftritte, um dieses "Bühnen-Gefühl", er ahmt sie nach.
Göller macht eine Lehre zum Musikalienhändler, wieder eine Chance, seinen musikalischen Horizont zu erweitern: Bald leitet er das Notenarchiv des Arbeitgebers ("ein Paradies"), stöbert auch privat mit dem Opa auf Flohmärkten nach alten Noten. Er singt im Chor. Klar, dass er sich auch zutraut, einen Chor zu leiten - als er gefragt wird, übernimmt er den Weihenstephaner Unichor: "Ich hab immer alles abgeschaut. Man weiß automatisch immer mehr." Klavierspiel lernt er, indem er im Fernsehen Pianisten genau auf die Finger sieht. Den ersten Klavierunterricht nimmt er mit bereits 22 Jahren, macht irgendwann auch die Chorleiterprüfung.
Ein neuer beruflicher Abschnitt führt Jörg Göller in einen Klavierhandel, der eine Filiale an der Truderinger Straße hat. Der Eigentümer ist einverstanden, dass Göller und seine heutige Chefin Timea Ziegler-Khim hier Klavier und Keyboard unterrichten. Und es läuft super. So gut, dass sich der Händler im Einvernehmen zurückzieht und nach und nach dank des wohlwollenden Vermieters, Wände ziehen lässt, wo immer es nötig ist, eine Musikschule entsteht - mit inzwischen 22 Lehrern. Der Bedarf in Trudering ist immens. Göller hält inne und denkt nach: Er habe nie viel getan für all die folgerichtigen Entwicklungen in seinem Leben: "Ich war einfach offen."
Kreativ-Musikforum heißt die Schule, und der Name ist Programm, denn für den Klavier-, Keyboard- und Gesangslehrer Göller ist es wichtig, auf jeden Schüler und dessen Kreativität einzugehen, ohne spezielle Methode, eher mit Psychologie. Wenn jemand ohne Noten singen will: kein Problem. Göller bringt die Musik auch in die Messestadt, unterrichtet im Kinder- und Jugendzentrum Quax, erarbeitet mit den Jugendlichen kleine Musicals.
Canta bella, so hieß der Frauenchor, den Jörg Göller in Trudering gründete, doch es kommen Männer dazu, der neue Name lautet nun Chormäleon: "Ein wahnsinnig bunter Haufen. Wir singen alles, jeden Musikstil, von Klassik bis Heavy Metal." Göller, immer für eine Überraschung gut, ist auch Iron Maden-Fan. Bei der alten Chorliteratur für Männerchöre bleibt dagegen der MGV Liederkranz Trudering, den Göller dirigiert, eine stimmgewaltige Truppe, die stets in grünen Sakkos auf die Bühne kommt. So dreht sich sein ganzes Leben um die Musik, der jüngste Schüler ist fünf, der älteste Chorsänger 90.
Auch seine Frau Ayuko Göller-Taguchi, Sängerin und Gesangslehrerin, hat er über die Musik kennengelernt. Sie stand natürlich auch mit auf der Bühne bei Göllers bisher größtem Projekt 2012, der Carmina Burana mit mehr als 200 Sängern, die acht Monate lang begeistert probten, für die die Bühne im Kulturzentrum angebaut werden musste.
Am Ende gab es stürmischen Applaus. Göller strahlte. Ähnlich war es bei Magic Drum, im vergangenen Jahr. Bei dem Kindermusical machten auch Kinder aus Truderinger Unterkünften mit - und Göllers vierjähriger Sohn. Spaß, Idealismus, Benefizauftritte, es mischt sich alles. Viele ziehen für solche Projekte an einem Strang, da ist er dankbar. Aber er spürt auch die Erwartung, ein neues schönes Projekt auszutüfteln. Etwa ein Kindermusical selbst zu schreiben? Noch will Jörg Göller nicht verraten, woran genau er denkt, denn erst will er sein erstes Buch zu Ende bringen: "Klavierschule mal anders oder: Üben, die schönste Droge", das ist der Arbeitstitel.