"Tanzwerkstatt Europa":Formen der Sinnlichkeit

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Bei der "Tanzwerkstatt Europa" gibt es außer den obligatorischen Workshops acht neue zeitgenössische Tanzstücke - und einen Ausflug in die Historie.

Von Rita Argauer

Schwämme im Mund und einen Hut aus einem Sieb, garniert mit Haarwickeln auf dem Kopf. Obwohl das schon reichlich absurd erscheint, ist Lucinda Childs' Stück "Carnation" von 1964 wohl noch eines der leichter zu decodierenden, die bei der Tanzwerkstatt Europa in diesem Jahr aufgeführt werden. Lucinda Childs, US-amerikanische Tanzikone, setzt sich indirekt mit gesellschaftlichen und feministischen Befreiungsstrategien auseinander, eine absurd-komische Zweckentfremdung von Haushaltsgeräten erscheint da schlüssig.

Die Nichte der Künstlerin, Ruth Childs, wird drei dieser Stücke nun wiederaufführen. Der historische Ausflug nimmt den zehntätigen Tanztagen in München jedoch keineswegs die Aktualität - der Rest des Programms ist ganz und gar in der Gegenwart verwurzelt.

"Neue Möglichkeitsräume" für den Tanz gehören zum Hauptziel des Festivals, bei dem zu gleichen Teilen Vorstellungen gezeigt werden und Workshops besucht werden können. "Der Werkstatt-Anteil bedeutet eine Auseinandersetzung mit der Kunstform", erklärt Walter Heun, der künstlerische Leiter. Gewohnt experimentell ist also die Auswahl der Stücke, die in der Muffathalle und im Schwere Reiter gezeigt werden. Etwa Ian Kalers Soloarbeit "o. T. (The Emotionality of the Jaw)", in dem er sich mit der Frage nach der Formalisierung von Bühnentanz auseinandersetzt.

Also heruntergebrochen auf die Frage: Wie viel Form verträgt die Sinnlichkeit? Zusammen mit der Musikerin Jam Rostron aka Aquarian Lungs, die besser unter ihrem anderen Namen Planningtorock bekannt ist, sowie der Percussionistin Houeida Hedfi ist die sinnliche Erfahrung auf musikalischer Seite in jedem Fall gesichert (Donnerstag/Freitag, 3./4. August, 20.30 Uhr).

Auf die erfahrbare Verbindung von Musik und Körper hat es auch der in Brüssel ansässige Choreograf Thomas Hauert abgesehen. In "Inaudible" setzt er mit seiner Kompanie "Zoo" und George Gershwins "Piano Concerto in F" auf Improvisation und Planung. Etwa bei der Technik des Mickey-Mousings, in der die Musik eine punktgenaue Entsprechung in der Bewegung findet - das verlangt choreografische Maßarbeit (Sonntag, 6. August, 20.30 Uhr).

Die Österreicherin Doris Uhlich hingegen verschiebt in "Mehr als genug" dann den Fokus von der Musik auf die Körperlichkeit und vor allem den selbstbewussten Umgang mit einem Körper, der nicht dem ballettösen Hungerhaken entspricht (Samstag, 5. August, 20.30 Uhr), während das Gruppenstück "Sur le Fil" und das Solo "La Nuit" der gebürtigen Algerierin Nacera Belaza eher wieder auf das von Grund auf sehr abstrakte Naturell des zeitgenössischen Tanzes abzielen.

Tanzwerkstatt Europa, bis Sa., 12. August, Programm unter www.jointadventures.net/tanzwerkstatt-europa

© SZ EXTRA vom 03.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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