Kind geschüttelt:Tagesmutter muss acht Jahre in Haft

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  • Angelika S. hat den damals neuneinhalb Monate alten Benedikt so heftig geschüttelt, dass er irreversible Hirnschäden erlitt.
  • Nach dem Vorfall legte die Tagesmutter den Jungen in sein Bettchen. Erst nach mehr als zwei Stunden alarmierte sie einen Notarzt.
  • Als Folge des Schüttelns kann das Kind nicht mehr sehen und schlucken, muss rund um die Uhr versorgt werden.

Von Andreas Salch

Wenn Angelika S. eines Tages aus dem Gefängnis kommt, wird Benedikt elf Jahre alt sein. Und nach Einschätzung von Ärzten wird er von da an noch etwa dreißig Jahre leben können. Schuld daran ist nach Überzeugung der Richter der 29. Strafkammer am Landgericht München I Angelika S., eine Tagesmutter aus Obermenzing. Im September 2016 schüttelte sie den damals neuneinhalb Monate alten Buben so heftig, dass er seither ein Pflegefall ist.

Für die Tat wurde die 55-jährige Angelika S. am Freitag nach mehr als vierzig Verhandlungstagen und über einjähriger Verfahrensdauer wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu acht Jahren Haft verurteilt. Außerdem bekam sie fünf Jahre Berufsverbot. Mit ihrem Urteil blieb die Kammer unter dem Vorsitz von Richterin Nicole Selzam nur knapp unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft. Deren Vertreterin hatte neun Jahre Haft sowie ein lebenslanges Berufsverbot gefordert.

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Bis zum 19. September 2016 war Benedikt ein "völlig normales Kind", sagte Richterin Selzam bei der Urteilsbegründung. Benedikt war an jenem Tag erst zum sechsten Mal bei Angelika S. Er quengelte und schrie, als sein Vater ihn am Morgen bei der Tagesmutter abgab. "Heute ist besonders schwer", soll die 55-Jährige zu einer anderen Frau gesagt haben. Außer um Benedikt kümmerte sie sich an diesem 19. September noch um zwei andere kleine Kinder. Benedikt war jedoch nicht zu beruhigen.

Als Angelika S. ihn und die zwei anderen Kinder gegen zwölf Uhr schlafen legen wollte, schrie er noch immer. Die Angeklagte aber habe "ihre Ruhe haben" und den Bub "ihrem Tagesablauf anpassen" wollen, sagte Richterin Selzam. Als Benedikt keine Ruhe gab, habe es der 55-Jährigen gereicht. Dreimal habe sie Benedikt "so kräftig vor ihrem Körper hin- und hergeschüttelt", dass sein Kopf rotiert habe. Die Tat, so Selzam, sei geschehen, weil die Angeklagte "genervt" gewesen sei von Problemen in ihrer Beziehung, einem anstehenden Termin beim Jugendamt und nicht zuletzt wegen ihres defekten Pkw. Nachdem Angelika S. Benedikt geschüttelt hatte, fiel er in eine tiefe Bewusstlosigkeit.

Die 55-Jährige legte das Kind aber wieder in sein Bettchen, dann sei sie ihren eigenen Angelegenheiten nachgegangen, so das Gericht. Unter anderem hatte sie sich im Internet über ein neues Auto informiert. Erst nach mehr als zwei Stunden hatte die Tagesmutter einen Notarzt alarmiert. Den Ärzten sagte sie, der Bub lasse sich nicht mehr wecken.

Das kräftige Schütteln hatte für Benedikt katastrophale Folgen. Er erlitt irreversible Hirnschäden. Seine Augen kann er zwar noch öffnen. Doch optische Reize kann sein Gehirn aufgrund der Tat nicht mehr verarbeiten. Eine Ethikkommission hatte den Eltern, die in dem Prozess als Nebenkläger auftraten, deshalb sogar empfohlen, die künstliche Beatmung bei ihrem Kind einzustellen. Dies sei "eine für Außenstehende kaum vorstellbare Situation", betonte Richterin Selzam.

Nach der Entfernung des Atemschlauchs hatte Benedikt jedoch selbständig weitergeatmet. Er kam in eine Spezialklinik. Seit April vergangenen Jahres ist er wieder bei seinen Eltern. Als Folge des Schüttelns kann Benedikt nicht schlucken. Er muss deswegen über eine Magensonde ernährt werden. Seine Mutter, eine Rechtsanwältin, hat ihren Beruf für ihren Sohn aufgegeben, damit sie ihn rund um die Uhr versorgen kann. Während der Urteilsbegründung brach Benedikts Vater mehrmals in Tränen aus. Die Mutter des Buben saß mit erstarrtem Gesicht neben ihm und hielt seine Hand.

Nach der Tat war Angelika S. die Pflegeerlaubnis als Tagesmutter entzogen worden. Gleichwohl, so Richterin Selzam, habe die Angeklagte sich nur wenige Wochen später mit Hilfe eines Rechtsanwalts ihre Pflegeerlaubnis "zurückerstritten". Als im Januar 2017 die ärztlichen Untersuchungen abgeschlossen waren und es keinerlei Zweifel mehr gab, dass Benedikt Opfer eines Schütteltraumas geworden war, kam die 55-Jährige in Haft. Bereits 2006 war gegen die Tagesmutter ermittelt worden, weil sie ein ihr anvertrautes Kind geohrfeigt hatte. Das Verfahren wurde jedoch gegen Geldauflage eingestellt. Die Eltern von Benedikt wussten davon nichts.

© SZ vom 15.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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