Szene München:Heiße Luft und heißer Sirup

Lesezeit: 1 min

Weisheiten eines Barkeepers: Wer sich an einen Tisch setzt, will seine Ruhe, wer an die Bar kommt, will meist keine. (Foto: dpa)

Ein Abend an der Bar ist wie eine Sneak Preview im Kino: Man weiß nicht, was kommt, kann sich aber stundenlang unterhalten lassen. Etwa von einem Künstler, der einem seine Werke verkaufen möchte - entstanden aus Erdbeersirup.

Eine Kolumne von Philipp Crone

Der Tresen einer Bar ist ein eigener Kosmos. Die Thesen eines Barkeepers dazu lauten: Wer sich an einen Tisch setzt, will seine Ruhe, wer an die Bar kommt, will meist keine. Der Gang an die Theke ähnelt dabei einer Sneak-Preview im Kino. Man weiß nicht, was kommt, kann sich aber stundenlang unterhalten lassen, beim Bar-Watching.

Etwa der kräftige Mann mit Schnurrbart, der drei Stunden lang vor seinem Weißbierglas sitzt, das immer wieder aufgefüllt wird, und nichts tut, gar nichts, außer zu blinzeln. Lebenskrise? Sprachkrise? Andere wirken, als ob sie bei Tageslicht Redeverbot hätten und nun in der Dunkelheit alles raus müsse. Solche Leute können das Desinteresse ihrer Gegenüber hartnäckiger ignorieren als der fähigste Staubsaugervertreter. Oder aber, und das ist im Bar-Biotop eine eigene Nische, man ist Künstler.

Der Künstler sucht Inspiration, ob im Glas oder im Gespräch. Manchmal wird so etwas ganz konkret, wie neulich im Night Club des Bayerischen Hofs. Der Mann lässt keinen Zweifel an seinem Beruf, vor ihm liegen Dutzende Blätter auf der Theke, auf denen in saftig roter Farbe Elefanten und Fische leuchten. Das ist Erdbeersirup, erklärt er, und die Technik: draufklatschen und vom Barkeeper in der Mikrowelle festbacken lassen. Es entstehen Bilder, die aussehen, als ob jemand mit heißem Sirup Tiere malt. Der Mann bietet ein Werk zum Kauf, es ist ein Schwertfisch mit Reiskornverzierung: "700 Euro".

So ist die Sneak-Preview an der Bar, da kann alles passieren, bis hin zur dreisten Unverschämtheit. Wie würden die Bar-Typen darauf reagieren? Der Redselige würde hart verhandeln und beim Stand von 56 Euro das Bild gegen einen gebrauchten Allergiker-Staubsauger tauschen. Doch eigentlich hat der Sirup-Schurke nur eines verdient, die geballte Gleichgültigkeit des Weißbier-Stoikers.

© SZ vom 31.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: