SZenario:"Solange die hier Essen raustragen, geht keiner heim"

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Im Leoparden-Look zu Gast beim Oberbürgermeister. Auch Schauspielerin Sissi Perlinger folgte der Einladung ins Münchner Rathaus. (Foto: Sebastian Gabriel)

Angenehm unaufgeregt: Oberbürgermeister Dieter Reiter empfängt in München lebende und arbeitende Schauspieler im Rathaus

Von Thomas Becker, München

Zum Beispiel Fritz Scheuermann. Einer aus der dritten, vierten Reihe, wie er selbst sagt. Seit 2011 ist er als Frank "Fränkie" Brettschneider in "Dahoam is dahoam" als Schauspieler zu sehen, spielt aber auch Anspruchsvolleres wie das Qualtinger-Stück "Der Herr Karl". Auch als Kabarettist hat er sich schon versucht. Der normale Überlebenskampf in der Schauspielmetropole München. Es ist kurz vor sieben im Festsaal des Alten Rathauses, in dem Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) gleich wieder den traditionellen Empfang einläutet - für in München lebender und arbeitender Schauspielerinnen und Schauspieler. Eine schöne Tradition, wie Scheuermann findet: "Ich fühle mich immer ganz geehrt. Und ich mag die Stimmung hier."

Die Stimmung ist mit aufgekratzt unzureichend beschrieben. Schon eine Viertelstunde vor Veranstaltungsbeginn geht es zu wie im Taubenschlag. Ein Geräuschpegel, angesichts dessen Hausherr Reiter sich spaßeshalber die Ohren putzt, als er die Treppe hochkommt. Der Lärm steigert sich noch einmal, als er das Rednerpult entert - Ovationen, wie er sie sonst wohl nur als Gitarrist auf der Konzertbühne erlebt. "Unglaublich", ruft er, "vielleicht kann ich Sie ab und zu mal buchen." Bei den anstehenden Wahlen wird er für jeden Klatscher dankbar sein. Er verspricht, kurz zu reden: "Ich will Sie gar nicht lange stören. Fünf Minuten, und dann geht's ab." Offiziell dauert die Veranstaltung von 19 bis 20 Uhr, aber Reiter weiß aus Erfahrung: "Das ist der Empfang, der im ganzen Jahr am längsten dauert. Das muss irgendwie mit dem Genre zu tun haben."

Hat es in der Tat. Schließlich gibt es so viel zu erzählen. Dem Schauspielerjob ist ja ein gewaltiger Networking-Anteil zu eigen. Bei diesem Empfang potenziert er sich: da ein Plausch mit dem Kollegen, dort ein völlig unverbindliches Hallo bei der Frau von der Casting-Agentur ... Nur gut, dass es reichlich kühle Getränke gibt sowie Seelachs und Geschnetzeltes. Arndt Schimkat, der lange Mann fürs Komische, hat sich geschickt positioniert: genau da, wo dienstbare Geister die Teller aus der Küche tragen. Es ist sein erstes Mal beim Empfang, aber er hat sich auf einen längeren Abend eingestellt: "Solange die hier Essen raustragen, geht keiner heim." Als Post von der Stadt im Briefkasten lag, hatte er zunächst einen Strafzettel erwartet und war dann umso angenehmer überrascht. Seine Begleitung: Juliane Köhler, mit der er unlängst zusammenarbeitete. Aber die hat er längst aus den Augen verloren. "Und jetzt muss ich mal dem Jürgen hallo sagen", und schon stößt er mit dem Kollegen Tonkel an, dem legendären Radiomoderator aus "Wer früher stirbt, ist länger tot".

Und sonst so? Ernst Hannawald kommt ganz in Schwarz, Sissi Perlinger wie immer im Leo-Look, Richard Oehmann in Zivil. Überhaupt die Garderobe: wohltuend unaufgeregte Streetwear, wenig Glitzer-Miniröcke oder ähnlich Aufsehenheischendes. Dazu ein ebenso angenehm unaufgeregter Bürgermeister. Der bekennt, dass er es in Theater, Kino oder Konzert höchstens einmal im Monat schafft und der auch zugeben kann, dass er früher Bud Spencer und Terence Hill toll fand. Man kann Fritz Scheuermann schon verstehen: wirklich eine schöne Atmosphäre. Echt jetzt, ganz ohne Schauspielerei.

© SZ vom 24.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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