SZ-Serie: Sakrale Glaskunst, Folge 6:Offenbarung in Rot

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Vor 50 Jahren hat die Künstlerin Angela Gsaenger die Vision des Johannes vom "Himmlischen Jerusalem" auf Glas gebannt. Ihre abstrakte Darstellung im Giebelfenster der Reformations-Gedächtnis-Kirche hat bis heute nichts von ihrer Strahlkraft eingebüßt

Von Berthold Neff

So sieht es also aus, wenn eine Stadt vom Himmel kommt. Hinter ihren zwölf Toren, die nie verschlossen sind, wird es niemals Nacht, die Bäume tragen nicht nur einmal, sondern zwölf Mal im Jahr Früchte, niemand hungert, niemand dürstet, niemand stirbt - es ist ein Paradies. Die Künstlerin Angela Gsaenger muss diese Vision aus der Offenbarung des Johannes vor Augen gehabt haben, als sie die ersten Entwürfe des großen dreieckigen Glasfensters für die Reformations-GedächtnisKirche in Großhadern zu Papier brachte.

Sie ist damals eine Frau von 38 Jahren, im Zeichnen und Malen gleichermaßen gut. Ihre Ausbildung hat sie an der Meisterschule für Mode, Abteilung Kostümbild und Grafik, im Jahr 1949 begonnen und nun ebenso hinter sich wie das Studium an der Akademie der Bildenden Künste, seit geraumer Zeit schlägt sie sich als freischaffende Kunstmalerin durch. Und sie kennt sich mit Glasmalerei aus, war an der Akademie Schülerin von Josef Oberberger, der dort vor dem Zweiten Weltkrieg die Glasmalerei-Werkstätte geleitet hatte und nach 1945 als Professor für Malerei und Grafik unterrichtete.

Linien, die ins Jenseits zeigen, Farben, die das Herz erwärmen: Das Giebelfenster der Kirche, das vielfältiges Licht ins Innere lässt. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Es wäre also für sie naheliegend gewesen, Gott in seiner ganzen Pracht darzustellen, viel Sorgfalt auf den fließenden Faltenwurf zu verwenden, den grauen Bart und die gütigen Augen. Also jenen Moment einzufangen, da Gott über Satan triumphiert hat, das Weltgericht vorbei ist und Tod und Schmerz überwunden sind. Genau das aber hat sie vermieden bei der Gestaltung der farbigen Glastafeln. "Ich wollte eine grafische Darstellung", erläuterte sie später ihr Werk, "etwas Nicht-Gegenständliches, mit Figuren macht man sich leichter angreifbar." Und wer aus dem Glas eine abstrakt wirkende Komposition zaubert, eröffnet der Fantasie einen weiten Raum. Also hat sie in den Giebel der Kirche, in den sich das Kreuz fügt, als ob es alles tragen müsste, zwölf rote Parallelogramme eingefügt, die ihrerseits, von Bleischnüren festgehalten, aus Dreiecken in mehreren Rot-Schattierungen bestehen. Sie umrahmen die Häuser dieses himmlischen Jerusalems, jener Stadt, die "keiner Sonne noch des Mondes bedarf, dass sie ihr scheinen; denn die Herrlichkeit Gottes erleuchtet sie", so der Seher Johannes.

Aber weil die Menschen auf Erden auf absehbare Zeit noch des Sonnenlichts bedürfen, auch hier in Hadern an der Ebernburgstraße, war es der Künstlerin ein Anliegen, dass die Fenster nicht nur genügend Licht durchlassen, sondern auch einen schmalen Blick nach draußen ermöglichen, auf den blühenden Kirschlorbeer zum Beispiel oder auf jenes Gewächs, das der Reformator Martin Luther so gerne hatte: "Auch wenn ich wüsste, dass morgen die Welt zugrunde geht, würde ich heute noch einen Apfelbaum pflanzen."

Im Botanischen Garten erinnert eine Tafel im Rosengarten daran, dass die Künstlerin durch ihr Testament viele Investitionen ermöglicht hat. (Foto: oh)

Die Farbe Blau hat sie deshalb nur für die Umrandung gewählt. Oben, in einem etwas helleren Ton, stellt sie den Himmel dar, und unten, dunkler schon, die Erde. Oder steht dieses Blau für die Bedrohung, der dieser große Sehnsuchtsort der Christen ausgesetzt sein könnte? So empfindet es Pfarrer Michael Trimborn manchmal, der seit gut einem Jahr der Seelsorger der evangelischen Gemeinde ist und vor Kurzem mit den Gläubigen die 50-Jahr-Feier dieser Kirche begangen hat.

Vor zwei Jahren hat Trimborn, nach mehreren Stationen, darunter ein Aufenthalt in einer Missionsstation in Papua-Neuguinea, seine neue Kirche zum ersten Mal gesehen. "Ich war von Anfang an fasziniert von dem Spiel der Lichter, es macht die Kirche warm und einladend." Zwölf ist die magische Zahl, die das nach Süden ausgerichtete Giebelfenster dominiert. Die zwölf Tore symbolisieren nicht nur die zwölf Stämme Israels, sie stehen auch einfach für die Zwölf als "Zahl der Fülle", wie es Trimborn formuliert.

Pfarrer Michael Trimborn (Foto: Alessandra Schellnegger)

Dem Glasbild wohnt eine Verheißung inne, für den Pfarrer steht es für den "Traum von der wahren Gesellschaft", für das "Hoffnungsbild aus der Zeit der Christenverfolgung". Trimborn mag es, wenn die Sonne im Gottesdienst "bunte Flecken" auf den grauen Nagelfluh des Altars und der Stufen zeichnet, und die roten haben es ihm besonders angetan. "Rot ist meine Lieblingsfarbe", sagt der Pfarrer. Das zeigt der 56-Jährige auch, in seinem linken Ohrläppchen steckt ein roter Ring. Beim Gang durch die Kirche deutet er immer wieder auf bestimmte Details. Wie oft zum Beispiel der Architekt auf das Dreieck setzt. Wie er reduzierte Formen bevorzugt, klare Linien, aber auch die Liebe zum Detail erkennen lässt.

Man würde einiges dafür geben, dabei gewesen zu sein, als der damals 68 Jahre alte Architekt Gustav Gsaenger den Neubau plante, auf der Baustelle nach dem Rechten sah - und mit seiner Tochter diskutierte. Wie sehr hat Gsaenger, der etwa 40, meist protestantische Kirchen geplant hat, mit seiner Tochter Angela über ihr Projekt gesprochen? Wie hat sie die übrige künstlerische Gestaltung der Kirche geprägt? Die Festschrift von 2009, als die Gemeinde ihre ersten 40 Jahre feierte, gibt darüber wenig Auskunft. Man würde sie gerne fragen, ob sie glaubt, und falls ja, woran. Oder wie sie sich Gott vorstellt. Oder wie es ist, im Schatten des Vaters, des berühmten Architekten, künstlerisch zu arbeiten. Sicher aber ist, dass die Künstlerin Angela Gsaenger, deren Nachlass sich im Architekturmuseum München befindet, erfolgreich auch mit anderen Architekten gearbeitet hat und dabei ihr Können in vielerlei Techniken bewies, zumeist in Kirchen: Marmormosaiken, Glasfenster, gemalte Altarwände, Mosaiken mit Glaskleinsteinen.

Als sie 2011 im Alter von 82 Jahren starb, war sie offenbar schon weitgehend vergessen und der Kunstwelt keinen Nachruf wert. Aber im Botanischen Garten erinnert eine von den Spezialisten der Mayer'schen Hofkunstanstalt München gefertigte Glastafel an die Künstlerin. Angela Friedel Gsaenger hat, so berichtet es Sammlungsleiterin Ehrentraud Bayer, die Gesellschaft der Freunde des Botanischen Gartens "in ausgesprochen großzügiger Weise testamentarisch bedacht". Dieses Geld habe viele Investitionen im Botanischen Garten ermöglicht. Dazu zählt auch die Erneuerung des Rosengartens, der seitdem der Künstlerin gewidmet ist. Es ist keine Stadt aus dem Himmel, aber ein Paradies auf Erden.

Die SZ-Serie "Lichtspiele" wird in loser Folge fortgesetzt.

© SZ vom 27.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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