SZ-Serie: München erlesen:Designer-Idylle im Glockenbachviertel

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"Das Paradies meines Nachbarn" ist der zweite Roman der in Teheran geborenen Autorin Nava Ebrahimi

Von Jürgen Moises

Der Begriff der Resilienz ist in den vergangenen Jahren zum Modewort geworden. Und es kann gut sein, dass er auch demnächst wieder verstärkt ins Zentrum rückt. Ist damit in der Psychologie doch die psychische Widerstandsfähigkeit eines Menschen gemeint. Das heißt, seine Fähigkeit, Krisen zu bewältigen und diese im Idealfall auch als Anlass für Entwicklungen zu nutzen. Kritisiert wurde an dem Konzept, dass es tiefer gehende Probleme nicht beseitigt, sondern die Menschen nur in einen permanenten Krisen- und Alarmmodus versetzt. Von Darwins "Survival of the fittest" klingt es jedenfalls nicht weit entfernt, und hat nicht auch mal ein berühmter Philosoph gesagt: "Was mich nicht umbringt, macht mich stärker"? Der letzte Satz, er würde auch zu Ali Najjar gut passen. Einem erfolgreichen Produktdesigner, der in Nava Ebrahims im März erschienenen Roman "Das Paradies meines Nachbarn" eine zentrale Rolle spielt. Ali Najjar ist ein Arschloch, er führt sich jedenfalls so auf, als er die Position des Kreativchefs in einer Design-Agentur in München übernimmt. Er feuert gleich mal alle, die er feuern kann, weil er in ihnen fade Wiederkäuer sieht. Seine Losung: Nie wieder Opfer sein, und das geht nur, indem man Täter wird. Die Legitimation für diese Einstellung leitet der gebürtige Iraner aus seinen Erlebnissen im Iran-Irak-Krieg in den Achtzigerjahren ab, in den er als Kindersoldat geschickt wurde.

Zumindest lautet so die offizielle Erzählung, die Sina Khoshbin als einziger in Frage stellt. Khoshbin ist 38, arbeitet als Senior Industriedesigner in der Agentur und lebt mit seiner Frau Katharina, einer Resilienzforscherin, und seiner Tochter Anahita im hippen Münchner Glockenbachviertel. Er führt ein gutes Leben, eigentlich, steckt aber nach 15 Jahren im Job in einer Sinnkrise, die er seiner Frau gegenüber mit dem Satz "Ich habe diesen Beruf nicht gewählt, um Thermoskannen zu entwerfen" ausdrückt. Als in München geborener Halb-Iraner genießt Khoshbin bei Ali Najjar Sympathien. Und als ihn sein neuer Chef bittet, mit ihm in die Vereinigten Arabischen Emirate zu fliegen, um dort eine Art Stiefbruder zu treffen, willigt der Designer ein. Eine Reise, die das Leben von allen dreien maßgeblich verändert.

"Das Paradies meines Nachbarn" ist der zweite Roman von Nava Ebrahimi, die 1978 in Teheran geboren wurde und heute als deutschsprachige Autorin im österreichischen Graz lebt. Sie hat in Köln Journalismus und Volkswirtschaftslehre studiert, arbeitete als Redakteurin bei der Financial Times, war Finalistin des Open Mike und Teilnehmerin an der Bayerischen Akademie des Schreibens in München. Letzteres dürfte eine Erklärung dafür sein, warum Ebrahimi ihren beeindruckenden und vielschichtigen Roman über Moral, persönliche und nationale Schuld und Verantwortung im Münchner Designermilieu angesiedelt hat. Wobei dieses eigentlich nur als Blaupause für ein cleanes, westliches Leben im Wohlstand steht. So clean wie das beliebte skandinavische Design.

Schnitzel, Butterbrezn und das hysterische Lachen der Deutschen im Theater. Weiter als diese schlagwortartigen Chiffren geht das Münchner Lokalkolorit im Roman kaum hinaus. Man könnte das als oberflächlich ansehen. Aber das oftmals sehr Oberflächliche am bürgerlichen Mittelstandsleben satirisch angespitzt hervorzuheben und es zu den unter anderem mit deutschen Waffen herbeigeführten Kriegswehen im Iran und anderen Ländern in Kontrast zu stellen: Genau das ist auch Ebrahimis Absicht. Die Resilienz der Protagonisten wird jedenfalls stark herausgefordert. Und es zeigt sich, dass es belastende Dinge nicht nur auszuhalten, sondern auch sich ihnen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen gilt. Erst dann eröffnet sich ein Ausweg aus der Krise. Wohin er führen wird, bleibt aber offen.

Nava Ebrahimi: Das Paradies meines Nachbarn , btb-Verlag München 2020, 224 Seiten, 20 Euro

© SZ vom 04.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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