SZ-Adventsserie: Stille Zeiten:Geschäftigkeit nur in der Luft

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Ornithologin Sophia Engel. (Foto: Robert Haas)

Ornithologin Sophia Engel genießt die Vogelbeobachtung im Winter

Von Thomas Kronewiter

Ein Wusch, ein Husch, ein gelb-schwarzes Blinken im Gebüsch: Sophia Engel muss eigentlich nicht genauer hinschauen: Auf dem Ast vor ihrem Fenster sitzt eine Kohlmeise, Münchens häufigster Vogel. "Über Kohlmeise oder Blaumeise muss ich gar nicht erst nachdenken", sagt die Ornithologin. Schwarze Krawatte, gelbliche Brust - "der ist eigentlich unverwechselbar, sofern man den Bauch sieht". Meisenmännchen seien kräftig, Meisenweibchen eher verwaschen gelb. Und der Erlenzeisig, der die gleichen Farben hat, ist kleiner, zierlicher, nicht so kugelig. Säßen sie nebeneinander, wäre der Unterschied augenfällig.

Um Vögel im Winter aus dem heimischen Wohnzimmer zu beobachten, braucht es kein Fernglas oder Spektiv. Nur Geduld, nicht einmal übermäßig Konzentration. Die "Stunde der Wintervögel", zu welcher der Landesbund für Vogelschutz (LBV) wieder von 8. bis 10. Januar aufruft, ist bewusst für Einsteiger gedacht, ein Faltblatt des LBV (zu finden unter www.lbv.de) hilft ihnen, die zwölf häufigsten Vögel zu unterscheiden. Sophia Engel nimmt sich zu diesem Termin gewöhnlich bei einem ausgedehnten Frühstück Zeit und schaut, "was sich so tut vor dem Fenster". Wenn sie dann wieder - wie kürzlich - einen kleinen Zaunkönig erspäht, der sich gerade in eine Ritze ihrer Terrasse zu quetschen versucht, gehe von ganz allein das Kopfkino los. Da sei es echt eng - also was tue der kleine Piepmatz da so geschäftig? Müsse wohl etwas zu fressen erspäht haben. "Das spult sich dann gemächlich im eigenen Inneren ab", erzählt die 48-Jährige. Zutiefst entspannend findet das Sophia Engel, "diesen kleinen Blick in ein fremdes Leben".

Ein Wusch, ein Husch, ein schwarzer Fleck mit orangefarbenem Schnabel. Eine Amsel zeigt sich gerade geschäftig, offenkundig eine männliche. Denn die gleich großen Weibchen in ihrem unscheinbaren Braun würden schon wieder deutlich weniger Fensterspäher erkennen. Selbst Sophia Engel tut sich da manchmal schwer - etwa aufgrund der Entfernung oder des Augenblicks, auf den man nicht immer vorbereitet sei. Aber ihr gefällt, "dass ein paar Rätsel stehen bleiben in der Welt". Und große Besonderheiten nimmt sie natürlich schon wahr - wie kürzlich, als sie einen der seltenen Sperber beobachten konnte. Der kleine, wendige Greifvogel sei zunehmend auf dem Weg in die Stadt, wo seine Beute - Kleinvögel - zuverlässig an Futterstellen anzutreffen sei. Für die Vogelexpertin gut zu erkennen an den Querstreifen über der Brust, der sogenannten Sperberung, und dem Verhalten als "Überraschungsjäger".

Ganz generell ist die Situation der Vögel in München "nicht so besonders gülden". Zu dicht sei es, zu wenig grün. Und wer einen handtuchgroßen Garten mit einem manikürten Kugelbaum sein eigen nenne, den sommers ein Mähroboter pflege, sei noch lange kein Tierschützer, wenn er im Winter einen Meisenknödel aufhängt.

Sich Zeit zu nehmen ist eine Kunst. Davon erzählt der Adventskalender der Stadtviertel-Redaktion. Am Mittwoch: Stefan Just druckt in seiner Moosacher Werkstatt nach althergebrachten Verfahren.

© SZ vom 22.12.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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