SZ-Adventskalender:Zehn Quadratmeter

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Margarete Reindl in ihrem Zimmer, sie sucht eine Sozialwohnung. (Foto: Catherina Hess)

Margarete Reindl lebt in der Frauen-Unterkunft Karla 51

Von Anna Hoben

Lieber in München ohne Wohnung als in einer Wohnung, die nicht in München ist - so geht es Margarete Reindl. Ihr ganzes Leben hat die 74-Jährige in München verbracht. Bis sie vor zwei Jahren nach Duisburg zog. Ihr Sohn wohnt dort, "komm", hatte er gesagt, "dann bist du nicht so allein im Alter". Also gab sie ihre Wohnung in Harlaching auf und packte ihre Sachen. Elf Monate hielt sie durch, dann wurde das Heimweh zu stark. Im Ruhrgebiet fand sie die Menschen weniger nett, die Städte weniger schön, die Luft weniger gut. Kurz: Duisburg war nicht München.

Sie packte ihre Sachen, ein zweites Mal. Mit einem großen Koffer und einer Tasche, aber ohne Ersparnisse landete sie im Juni wieder in München. Eine Freundin hatte gesagt, sie könne vorübergehend bei ihr unterkommen. Doch die Freundin versetzte sie, so berichtet es Reindl. Sie ging zur Bahnhofsmission, dort vermittelte man sie weiter. Eine Nacht schlief sie am Harthof in einem Vier-Bett-Zimmer, dann kam sie in der Karla 51 unter, einer Einrichtung für wohnungslose Frauen. Seit einem halben Jahr lebt sie nun hier.

Dass sie nach Duisburg gegangen ist, "war der größte Fehler meines Lebens", sagt Reindl. Sie hatte immer eine Wohnung gehabt. Verkäuferin hat sie einst gelernt, später geputzt und als Haushaltshilfe für ältere Menschen gearbeitet. Zuhause, das sind jetzt zehn Quadratmeter, Bett, Schrank, ein kleines Regal mit Büchern, Stofftieren und Schlumpffiguren. Ein Kühlschrank, Bad mit Dusche. 40 solche Apartments gibt es in der Karla 51, deutsche und ausländische Frauen wohnen hier, viele haben häusliche Gewalt erfahren. Es sind junge Frauen und alte, es gibt in München auch Wohnungslose, die älter sind als 90. Im Frühjahr soll die Erweiterung mit 15 Plätzen fertig sein. Dank der Spende des SZ-Adventskalenders kann die Einrichtung neue Betten kaufen.

Im Café im Erdgeschoss ist was los an diesem Vormittag. Auch ehemalige Bewohnerinnen und Bedürftige kommen hierher, um in Gesellschaft frühstücken zu können oder um eine warme Winterjacke aus der Spendenkammer zu bitten. Kinder wuseln umher. Obdachlose Frauen können im Haus duschen und ihre Wäsche waschen. Am Empfang türmen sich Koffer und Taschen. Eine Frau zieht aus an diesem Tag, sie hat eine Wohnung gefunden.

Anders als Reindl. Sie ist im städtischen Onlineportal "Sowon" registriert, so wie jeder, der in München eine Sozialwohnung sucht. Am Computer bei der Caritas klickt sie sich durch die Angebote, manchmal nutzt sie auch das Smartphone einer Freundin. Auf 3000 Wohnungen, die von der Stadt jährlich über "Sowon" vergeben werden, kommen rund 13 000 Bewerber mit höchster Dringlichkeit.

Dass Reindl weniger als ein Jahr aus München weg war, ist jetzt ihr Glück. So bekam sie viele Dringlichkeitspunkte. Einmal war sie in der Endauswahl für eine Wohnung, dann hat sich der Vermieter für jemand anderes entschieden. Jetzt hat sie wieder etwas in Aussicht. Reindl sieht jünger aus als sie ist, sie ist ein bisschen stolz darauf. Aber immer wieder ruft sie sich in Erinnerung, dass sie Mitte 70 ist. "Wenn ich in vier Jahren keine Wohnung kriege, brauch' ich auch keine mehr."

Eine Freundin hat sie gefunden in der Karla 51, mit ein paar Bewohnerinnen spielt sie Halma. Sie ist dankbar für ihren Platz in der Einrichtung, sie fühlt sich so wohl, wie man sich eben wohlfühlen kann in einem Provisorium. Reindl ist viel unterwegs, sie sorgt für ihre Stiefmutter, geht für die 92-Jährige einkaufen.

Manchmal denkt sie an das alte München, in dem sie aufgewachsen ist. "Wenigstens hab' ich eine schöne Kindheit gehabt." In Solln, eine Busfahrkarte kostete "ein Zehnerl", sie holte Ziegenmilch beim Bauern, ging eine Stunde durch den Wald zur Schule. Das alte Haus der Mutter, "ich würd's nicht mehr finden, alles zugebaut". Es wird schon wieder vorwärts gehen, sagt sich Reindl, die Optimistin. In ihrem Zimmer öffnet sie die Fenster und blinzelt. "Ich hab' die Sonnenseite."

© SZ vom 28.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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