SZ-Adventskalender:Höllische Schmerzen, aber ein Hoffnungsschimmer

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Juliane L. hofft, dass die Odyssee ihrer kleinen Familie bald ein Ende hat - doch nicht nur die Krankheiten machen der alleinerziehenden Mutter Sorgen

Von Thomas Anlauf, München

Es ist ein Kampf, der so viel Kraft kostet. Das Leiden von Juliane L. und ihrer kleinen Familie begann vor elf Jahren, als sie schon mit 19 einen Bandscheibenvorfall hatte. Die gelernte Krankenschwester wurde operiert, doch es wurde nicht besser, im Gegenteil: Vor sechs Jahren, ihr heute zehnjähriger Sohn war bereits vier, musste sie wieder operiert werden, zwei Mal. Seither ist sie zu 50 Prozent schwerbehindert und kann ihren Beruf in einer Münchner Klinik nicht mehr richtig ausüben. Mit ihrem Partner wurde sie auch nicht glücklich. "Es war eine Gewaltbeziehung", sagt sie heute.

Doch Juliane L. lernte einen anderen Mann kennen und wurde vor drei Jahren erneut schwanger. Doch bevor das Mädchen auf die Welt kam, trennte sich das Paar. Auf sich alleingestellt mit einem Buben, schwanger und gesundheitlich stark eingeschränkt, wuchsen ihr die Schulden immer mehr über den Kopf. Als ihre Tochter schließlich auf die Welt kam, hatte das Kind ein seltsam krummes Bein. Zunächst dachten die Ärzte an eine Fehlstellung und schienten das Bein, doch nach drei Monaten tauchten auf der Haut des Babys überall Pigmentflecken auf. Die Diagnose schockte Juliane L.: Das Kind hat Morbus Recklinghausen, Neurofibromatose. "Das waren die schlimmsten Wochen meines Lebens", sagt sie heute. "Ich konnte nicht mehr schlafen, du denkst, du brichst zusammen."

Von der Erkrankung sind meist Haut und Nervensystem betroffen, bei Juliana L.s Tochter kam dazu, dass der Knochen ihres rechten Beins durch die Krankheit so porös war, dass trotz Schiene erst das Wadenbein, dann das Schienbein einfach brachen. Und der Knochen wuchs nicht mehr zusammen, die Schmerzen des kleinen Mädchens wurden immer größer. Juliane L. fand heraus, dass im Kinderspital in Basel ein Spezialist erfolgreich Operationen mit gefrorenen Spenderknochen durchführt, eine Methode, die in Deutschland nicht erlaubt ist. Und es musste schnell gehen. Ein erster OP-Termin am 21. August musste abgesagt werden. Der Fuß des Kindes hatte sich durch die Schiene wund gescheuert und entzündet. Unterdessen ging es plötzlich auch Juliane L. wieder deutlich schlechter. Die gelernte Krankenschwester hatte höllische Schmerzen im Bein und befürchtete eine Thrombose. Doch es war wieder der Rücken, ein Nerv war zerstört. Der Arzt riet ihr, sofort zu operieren, weil sie sonst womöglich gelähmt wäre. Die Operation ging glatt.

Doch da war ja noch die Operation für ihre Tochter. Am 24. Oktober konnten die Schweizer Ärzte dem Mädchen einen neuen Knochen ins Bein setzen. Jetzt bangt die Mutter, ob der Knochen überhaupt vom Körper ihrer Kleinen angenommen wird und verwächst. "Sie ist aufgedreht und herzlich und sie nimmt jede Hürde", sagt Juliane L. Gerade wird sie in der Krippe, die nahe der Schwabinger Wohnung liegt, eingewöhnt. Es scheint der Zweieinhalbjährigen dort zu gefallen. Womöglich hat die Odyssee der kleinen Familie bald ein Ende.

Wenn da nicht die vielen Schulden wären, die sich in der Zeit des Bangens und Hoffens angesammelt haben und die sie nun mit Hilfe der Schuldnerberatungsstelle versucht, stückweise abzuzahlen. Das Geld, das die kleine Familie zur Verfügung hat, liegt kaum über dem Existenzminimum. Da Juliane L. von zu Hause aus einem Münchner Arzt nebenbei die Abrechnungen erledigt, verdient sie sich ein wenig dazu. "Ich brauch das, die Arbeit", sagt sie. Wenn alles gut geht mit ihrer Tochter, und auch ihre eigenen Schmerzen nun endgültig Geschichte sind, will die 30-Jährige im kommenden Jahr wenigstens in Teilzeit wieder als Krankenschwester in ihrer ehemaligen Klinik arbeiten. Doch bis dahin muss sie mit ihrer Tochter noch mehrmals nach Basel reisen. Das reißt wieder ein Loch in ihr schmales Budget.

Einen neuen Kühlschrank statt des 40 Jahre alten Gerätes, das noch von der Uroma stammt, kann sich Juliane L. ebenso wenig leisten wie eine neue Waschmaschine. Ihr zehnjähriger Sohn, der sich liebevoll um seine kleine Schwester kümmert, bräuchte dringend neue Schuhe und Kleidung. Auch das Mädchen hat wegen ihrer Beinschiene einen großen Verschleiß an Kleidung. Die muss das fröhliche Mädchen wohl tragen, bis sie ausgewachsen ist. Kurz vor Weihnachten waren Juliane L. und ihre Tochter wieder in der Kinderklinik in Basel. "Die Wunden sind super abgeheilt", sagt die Mutter erleichtert. Der Arzt habe gesagt: "Wir sind noch nicht über den Berg, aber wir bewegen uns steil bergauf." Was für ein wunderbares Weihnachtsgeschenk.

© SZ vom 28.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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