SZ-Adventskalender:Das Leben nach dem Knall

Lesezeit: 3 min

Udo Z. kann sich seine Medikamente kaum leisten

Von Thomas Anlauf

Es ist nur ein kurzer Moment, der das bisherige Leben von Udo Z. völlig zerstört. "Die Kindheit, Jugend, der Beruf, alles hat funktioniert", sagt der Mann im braunen Trachtenjanker. "Ich hatte Anerkennung, ein soziales Umfeld, bin viel rumgekommen - und ich hatte 18 Jahre lang eine gute und glückliche Beziehung." Doch dann, im Jahr 2005 kommt es zum Knall. Hirnschlag, im Kopf platzt eine Vene, Aneurysma. Nichts ist mehr, wie es vorher war.

Udo Z. sitzt vor einem dunklen schweren Holztisch in seiner Schwabinger Wohnung und blickt auf handgeschriebene Seiten. Was der 57-jährige gebürtige Münchner aufgeschrieben hat, soll ihm und dem Gast ein wenig erklären, was passiert ist, was mit ihm geschehen ist seit jenem Tag vor 13 Jahren. Er zeigt ein Foto, wie er vor jenem Ereignis mit Freunden auf der Wiesn ist, ein stattlicher, gut gelaunter Mann in Lederhosen. Heute geht Z. kaum noch vor die Tür. Es wird ihm oft alles zu viel. Der Gang zur Apotheke, zum Bäcker, zum Arzt. Seit dem Knall, der sein Leben so verändern sollte, entwickelte er eine massive bipolare Störung, er leidet unter Depressionen, die können wochenlang anhalten.

Was war geschehen? Udo Z. war lange Jahre als erfolgreicher Verkaufsleiter im Einzelhandel tätig gewesen. Doch der Stress war groß, der Firma drohte die Insolvenz. Eines Tages platzte die Vene im Gehirn, Z. musste operiert werden. "Ich habe wahnsinnig viel Glück gehabt", sagt er heute, "mir ist ein zweites Leben geschenkt worden." Er wollte so schnell wie möglich wieder arbeiten, wollte nicht krank sein. Doch die Insolvenz der Firma konnte er nicht abwenden, so krank wie er war. Damit kam er nicht klar. Er fiel in ein großes schwarzes Loch und fand nicht mehr heraus.

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(Foto: Catherina Hess)

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Sein ehemals großer Freundeskreis und seine Familie zogen sich mehr und mehr von ihm zurück, seine Partnerin verließ ihn schließlich. Z. fühlte sich "aus dem Leben geschossen". Das Leben sei plötzlich so hoffnungslos gewesen. Er hatte keinen Antrieb mehr, blieb einfach liegen anstatt aufzustehen. Rechnungen öffnete er nicht mehr, sie türmten sich zu horrenden Schulden. Jahrelang ging er nicht mehr zum Arzt, weil er als Privatversicherter Angst vor den Rechnungen hatte. Vor vier Jahren wollte er einen Bevollmächtigten für seine Angelegenheiten. Z. wusste, er hat keine Kraft mehr, sich selbst zu helfen. Seine Schwester hatte ihm jahrelang unter die Arme gegriffen, doch irgendwann konnte sie auch nicht mehr.

Erst 2017 erhielt Udo Z. einen Bevollmächtigten, der sich seither um die Finanzen und auch um das Wohlergehen des 57-Jährigen kümmert. Z. erhält zwar Grundsicherung, aber aus der Privatkasse kommt er in seinem Alter nicht mehr raus. Sein Bevollmächtigter redete ihm ein Jahr lang gut zu und vermittelte ihm eine Psychologin im Klinikum Großhadern, wo er drei Monate lang blieb. Er bekam dort psychiatrische Hilfe, aber wurde auch endlich medizinisch rundum betreut. "Das war das Beste, war mir passieren konnte", sagt Z. heute.

Es geht ihm besser, auch dank der vielen Tabletten, die Z. heute täglich einnehmen muss. Gerade war er deshalb wieder bei der Apotheke. 659 Euro haben die Medikamente gekostet, sie reichen aber nur für ein bis zwei Monate. Die Kosten muss er irgendwie vorstrecken und oft genug bekommt er die von der privaten Kasse nicht erstattet. Für ihn wäre es deshalb schon hilfreich, wenn er finanzielle Unterstützung für seine Medikamente bekäme. Außerdem träumt er davon, dass seine Wohnung in Schwabing renoviert wird. Aber mit welchem Geld? Früher hatte er genügend, aber das ist lange her.

Seit kurzem hat er begonnen, ein Buch über sein Leben zu schreiben, das vor dem Knall und das nach dem Knall. Und er hat es geschafft, nach langer Zeit wieder zu den Skatrunden mit seinen alten Freunden zu gehen. Fast sei es so wie früher, nur das Bier schmeckt Z. nicht mehr. Und heute "gewinne ich dauernd", sagt er. Darüber kann er lächeln.

© SZ vom 27.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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