Synchronschwimmen:Strampeln ohne Perspektive

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"Es ist schwierig, wenn die Unterstützung fehlt": Marlene Bojer, Münchner Synchronschwimmerin, muss ihren Olympiatraum begraben - vorerst. (Foto: Imago)

Marlene Bojer startet am Montag bei der Synchronschwimm-EM in London. Für die Münchnerin ist es der Saisonhöhepunkt - auch weil der Verband keinem Duett die Olympischen Spiele in Rio zutraut

Von Sebastian Winter, München

Marlene Bojer trägt ihren blauen Badeanzug, es ist Mittwochabend, Trainingszeit im Engadiner Bad in München-Fürstenried. Noch ein paar Tage sind es bis zur Europameisterschaft, die an diesem Montag in London beginnt. Die 23-jährige Synchronschwimmerin freut sich eigentlich darauf. Sie wird in jenem Becken schwimmen, in dem 2012 Olympiamedaillen vergeben wurden. Es ist ihr Saisonhöhepunkt. Bojer ist aber auch ein wenig wehmütig. Denn London sollte eigentlich nur Vorbereitung für ihr wahres Ziel sein: die Spiele in Rio. Doch Olympia ist gerade ganz weit weg für Marlene Bojer.

Die Gründe dafür passen nicht in einen Satz, sie sind vielschichtig, in einem Sport, der hierzulande selbst im Deutschen Schwimm-Verband (DSV) nicht den allerhöchsten Stellenwert besitzt. Kurzum: Die geschminkten Frauen (und ja, bei der WM 2015 starteten auch Männer) mit den Nasenklammern trainieren viel und werden kaum gefördert. Letztmals war 1992 in Barcelona ein deutsches Duett bei Olympia.

Bojer, die für die SG Stadtwerke München schwimmt, in München aufgewachsen ist und auch dort studiert, gilt zurzeit als beste Deutsche, jedenfalls im Solo. In dieser Disziplin ist sie deutsche Meisterin und startete 2015 bei der Weltmeisterschaft in Kasan. Doch bei Olympia gibt es keinen Solo-Wettbewerb, nur Duett und Team. Bojers Duettpartnerin Justine Seibert ist aber viel jünger, Jahrgang 1999 und Schülerin. Der für Synchronschwimmen zuständige DSV-Vizepräsident Peter Obermark sagt: "Der Leistungsunterschied zwischen Bojer und Seibert ist eklatant." Die Münchnerinnen hätten Obermark zufolge ohnehin keine Chance auf Rio gehabt, weil sie punktemäßig hinter dem derzeit besten deutschen Duett liegen. Aber auch Edith Zeppenfeld, Inken Jeske und Wiebke Jeske (ein Duett braucht immer eine Ersatzfrau) wurden nicht vom DSV nominiert - sie haben nicht mal Kaderstatus, im Gegensatz zu Bojer. "Die Chance lag quasi bei Null, dass sie sich für Olympia qualifizieren", sagt Obermark. Außerdem hätten sie die Vorgaben des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), möglichst ins Finale zu kommen, niemals erfüllt. "Wir haben dann gesagt, Rio ist zu teuer, um ein Duett hinzuschicken. Das wäre rausgeschmissenes Geld gewesen."

Marlene Bojer findet nicht, dass eine Olympiateilnahme Geldverschwendung ist. Sie hätte es außerdem gut gefunden, wenn der DSV in den vergangenen Jahren ein aussichtsreiches Duett aufgebaut hätte. "Es gibt leider keine Duett-Perspektive. Dadurch wird einem die Chance genommen, es zu Olympia zu schaffen. Es ist schwierig, wenn vom Verband da die Unterstützung fehlt", sagt Bojer.

Andererseits: Was soll man von einem Verband erwarten, dessen Bundestrainerin eine Halbtagskraft ist? Doris Ramadan, die Bundestrainerin, eine ehemalige Olympiateilnehmerin, arbeitet übrigens an ihrem Heimstützpunkt in München mit Bojer und anderen Talenten - die bayerischen gelten als die besten in Deutschland. Und sie ist seit Sommer 2015 vom DSV freigestellt, weil sie im vergangenen und vorvergangenen Jahr sehr viele Überstunden angesammelt hat. "Wie aus heiterem Himmel" sei die Nachricht vom DSV gekommen, sagt Ramadan - eine Honorartrainerin macht zurzeit ihren Job. Ramadans Vertrag beim DSV läuft nur noch dieses Jahr. Immerhin hat sie noch eine halbe Stelle beim Bayerischen Schwimm-Verband (BSV), mit einem anderen Vertrag. Auf eine Mischfinanzierung haben sich BSV und DSV nicht einigen können.

"Es ist ein strukturelles Problem", sagt Ramadan, "man hätte schon vor Jahren erkennen müssen, dass es mit einer halben Bundestrainer-Stelle nicht geht." Obermark sieht das ähnlich, er würde gerne "drei hauptamtliche Bundestrainer" haben, könne sie aber nicht bezahlen. "Auch keine Überstunden, weil das Fördermittel des Bundesinnenministeriums sind. Das ist eine Katastrophe", sagt Obermark. Womöglich spielen auch persönliche Differenzen in diese Geschichte hinein. "Einen Rückruf habe ich von Herrn Obermark nie bekommen", sagt Doris Ramadan.

Und da ist noch dieses Nord-Süd-Problem: Zeppenfeld und die Jeske-Schwestern trainieren am Duett-Stützpunkt Flensburg, ein erbitterter Konkurrent Münchens. Obermark sagt, er habe Marlene Bojer "vor drei Jahren klar gesagt, dass sie sich dem besseren Duett anschließen", also nach Flensburg ziehen soll, um eine Chance auf Rio zu haben: "Der Hund muss zum Knochen und nicht der Knochen zum Hund", sagt Obermark. In München wundern sie sich über solche Aussagen. "Es gab nie ein offizielles Gespräch, weder mit der Athletin, noch mit uns. Und schon gar kein offizielles Gespräch über Rahmenbedingungen oder Ähnliches", sagt SG-Vorstand Barbara Liegl. Zusammengesetzt hätten sich alle Beteiligten nie, Kommunikation also: Fehlanzeige. Bojer jedenfalls, die in München sehr verwurzelt ist, blieb in ihrer Heimat, gerade der Perspektive wegen. Sie studiert hier Druck- und Medientechnik und kann bei der Bundestrainerin ein neues Duett aufbauen - wenn auch nicht das vom DSV gewünschte.

Marlene Bojer hat ihr Krafttraining ausgedehnt, um ihren Rumpf noch mehr zu stärken, das ist entscheidend im Wasser. Für die EM hat sie zwei neue Kürprogramme aufgebaut, im Vorkampf am Montag möchte sie ihre "düstere, böse" Seite zeigen, das freie Solo am Mittwoch hat sie mit Musik von "Adele" unterlegt, "gefühlvoll und dramatisch" soll es sein. Das Finale ist ihr Ziel. Und danach? 2017 ist die Weltmeisterschaft in Budapest, 2020 Olympische Spiele in Tokio. "Dann versuchen wir es eben dort", sagt Bojer. Sie und Seibert. Die Perspektive ist da. Der zuständige DSV-Fachausschuss hat, wie Obermark sagt, beschlossen, 2017 einen Duett-Standort in München einzurichten - unter der Voraussetzung, dass der DOSB Synchronschwimmen dann noch fördert. Immerhin.

© SZ vom 07.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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