Subkultur:Aufräumen von unten

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"Auch Punkrock ist Kultur." Sophie Neudecker, Sebastian Neudecker, Vincent Mundinger, Niklas Other, Charlotte Scheidegger (von links) wollen die Subkultur stärken. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Selbst in einer reichen und sauberen Stadt wie München gibt es eine Subkultur. Zahlreiche Kollektive sind aktiv, wahrgenommen wird das selten. Das wollen die Gründerinnen und Gründer von "Schaufel & Besen Records" ändern.

Von Niccolò Schmitter

Im Münchner Norden erhebt sich eine Schaufel. Eine ziemlich schmutzige Schaufel, zugegebenermaßen. Hier, im Bürgerpark Oberföhring, zwischen modrigen Baracken und verwucherten Grünflächen, befindet sich eine der vereinzelten Bastionen der städtischen Subkultur. Einer der ganz wenigen Orte Münchens, der tatsächlich Freiraum genannt werden kann. Von hier holt nun eine Gruppe Kulturschaffender zu einem groß angelegten Putzmanöver aus. "Wir wollen aufräumen", heißt es, den Hochglanz von der Stadt der Reichen und Schönen fegen, so sagen sie es. Doch was heißt das?

"Man kann sich nicht Kulturstadt nennen und fast nur Oper und Theater fördern", sagt Charlotte Scheidegger. Sie ist eine der fünf Gründerinnen und Gründer des neuen Indie-Labels "Schaufel & Besen Records", ein Label, das nicht nur Musik vertreiben möchte, sondern auch eine Vision verfolgt. "Es gibt in München unzählige musikalische Projekte, die einfach liegen geblieben sind, weil sie keinen Platz haben, sich zu entwickeln und zu präsentieren", sagt ihr Mitgründer Vincent Mundinger. Es gelte, die Kulturschaffenden aus dem Untergrund gewissermaßen zusammenzukehren, ihre künstlerischen Kräfte zu bündeln und eine Plattform zu kreieren, die der Münchner Subkultur endlich die Sichtbarkeit verschafft, die sie eigentlich verdiene. Denn klar ist: "Auch Punkrock ist Kultur."

Die Subkultur der Landeshauptstadt sei ein Flickenteppich, bemängeln sie. Freie Kollektive gebe es zwar zuhauf, doch die kochen vor allem ihr eigenes Süppchen. Die Techno-Enthusiasten reden nicht mit den Punkern, die Stoner-Rocker wissen nichts von den Dub-Crews. Und die Öffentlichkeit weiß nicht mal, was Dub ist: eine besonders basslastige Weiterentwicklung des Reggae. "Schaufel & Besen Records" möchte nun die verschiedenen Genres zusammenbringen, ein Netzwerk schaffen, das als Sprachrohr für ihre Interessen fungieren kann. Denn ein zentrales Problem vereint all diese Gruppen: Es fehlt an Raum.

In München gibt es einige wenige Veranstaltungsorte wie die Glockenbachwerkstatt, das Feierwerk oder das Kafe Kult im Bürgerpark, die eine gewisse Förderung der Stadt erfahren. Dort können dank günstiger Konditionen Konzerte veranstaltet werden, die nicht dem Profitgedanken unterliegen. Das erlaubt jungen Kulturschaffenden, Partys und Konzerte zu organisieren, ohne ein finanzielles Wagnis eingehen zu müssen. Auch wenn von den dort ausbezahlten Gagen kein Musiker leben könnte - erst durch solche Räume kann eine subkulturelle Szene zumindest entstehen und gedeihen. Das Problem ist nur: Es gibt für eine Millionenstadt wie München viel zu wenige dieser Orte. Ohne sie kann sich das künstlerische Potenzial der Stadt jedoch nicht entfalten. Die besagten, liegen gebliebenen Projekte sind Opfer dieses Umstands.

Darüber weiß kaum jemand so gut Bescheid wie die Label-Gründer. Scheidegger und Mundinger musizierten mit Sophie Neudecker bereits im Teenager-Alter zusammen. Sie schrieben Songs, gründeten Bands und probten regelmäßig, doch Konzerte spielen? Kaum möglich. "Wir als zwei kleine Mädchen wurden überhaupt nicht ernst genommen", erzählt Scheidegger. Wenn dann mal doch ein Gig anstand, war die Frage, die sie am meisten zu Hören bekamen: "Und von wem bist du die Freundin?"

Schließlich entschieden sie sich, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, trommelten alle Bands aus dem Freundeskreis zusammen und erwirkten beim Feierwerk, im dortigen Sunny Red einen eigenen Konzertabend veranstalten zu dürfen. Den Abend nannten sie "Zombie Session". Das war vor neun Jahren und aus dieser einen Session wurde eine Konzertreihe, die nunmehr um die 80 Events in München aufgestellt hat. Von privaten Gigs in kleinen Kellern, über Underground-Konzerte in schummrigen Lokalen bis hin zu kleinen Festivals war schon alles dabei. Ein Hort der Subkultur, der es sich zur Botschaft gemacht hat, unabhängig des Genres allen Bands der Stadt eine Bühne bieten zu können, ohne Profitgedanken, allein aus Liebe zur Musik. Auch dank des Engagements dieser Gruppe, an der noch zahlreiche weitere Freunde beteiligt waren, gedieh in den vergangenen Jahren im Untergrund Münchens eine rege Szene, die sich nun Gehör verschaffen möchte. Hätte das Feierwerk dieser Gruppe von Teenagern vor neun Jahren nicht den Raum geben können, sich auszuprobieren, wäre der Stadt dieses Stück Kultur verloren gegangen. "Diese Orte sind für uns verdammt wichtig", sagt Sophie Neudecker. Es seien einfach nur zu wenige da.

Neben den drei jungen Gründern vertreten Sebastian Neudecker, Sophies Vater, und Niklas Other bei "Schaufel & Besen Records" die ältere Generation der Münchner Subkultur. Im Gegensatz zu früher erkennen sie, dass für eine präsentere Subkultur die Arbeit von unten bereits gelegt worden sei. Nur von oben müsse jetzt mehr geholfen werden. Die beiden haben hier im Bürgerpark Oberföhring bereits seit 1991 ihren Proberaum. In der Nachkriegszeit wurde das Gelände als Krankenhaus genutzt, in den Achtzigerjahren provisorisch an Bogenhausener Vereine und Künstler übergeben. Die Übergangslösung steht noch heute, doch wie es weitergehen soll, ist unklar. Die Nutzungsrechte laufen 2025 aus, auch ein Abriss steht im Raum. Für Sebastian Neudecker ist klar: "Das wäre eine Katastrophe."

Auch um das zu verhindern, gründet die Gruppe nun ein Label, das nicht nur Musik, sondern auch ein Stück weit Politik machen will. Der offizielle Startschuss erfolgt dabei am Mittwoch, 15. Juni. Nach drei Konzerten folgt eine After-Show-Party mit DJs, auf ein Genre wird sich nicht festgelegt. Veranstaltungsort ist die Kranhalle im Feierwerk. Natürlich.

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