Straßencafés in München:Wenn goldgebräunte Strizzis Milchschaum schlürfen

Staatstheater, Klein-Ibizia, Utopia: Im Münchner Straßencafé ist jeder Gast ein Schauspieler, jedes Gespräch ein Drama - eine Typologie des Stammpersonals.

Straßencafés

Der reservierte Siegertyp

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(Foto: Stephan Rumpf)

Staatstheater, Klein-Ibizia, Utopia: Im Münchner Straßencafé ist jeder Gast ein Schauspieler, jedes Gespräch ein Drama - eine Typologie des Stammpersonals. Eigentlich beginnt der Münchner Frühling immer dann, wenn das erste Cabrio mit offenem Verdeck über die Leopoldstraße fährt - das ist meist Ende Januar. Was uns also in den kommenden Apriltagen blüht, ist fast schon Frühsommer, Temperaturen um die 22 Grad. Es wird wieder eng im Straßencafé, denn das Stammpersonal sitzt schon längst in der Sonne. Keine Frage, die Sonnenterrasse des Oskar Maria, des Restaurants im Literaturhaus am Salvatorplatz, ist ein Platz für Siegertypen mit Niveau. Adrette Banker und Finanzjongleure. Boutiquengeschäftsführerinnen aus der Theatinerstraße. Leute mit großen Manufactum-Papiertaschen, die auf dem Weg zu ihrer Schwabinger Dachterrassenwohnung noch schnell einen Schlenker machen, bevor es über die Leo weiter nach Hause geht. Höhere Töchter und Anwalts- oder Zahnarztgattinnen. Neulich war aber sogar auch mal eine richtige Schriftstellerin da: Asta Scheib. Aber die hat draußen auch keinen Platz mehr bekommen und musste drinnen sitzen. Es ist nämlich so, dass draußen mittags fast alle Tische reserviert sind. Was eigentlich dem Wesen des Straßencafés widerspricht, das ja eher Flanierer dazu verleiten soll, eine Pause einzulegen. Ist hier im Kreuzviertel, unter Bankern und Kanzleibesitzern, nicht so. Hier geht man gezielt hin, mit Geschäftsfreunden oder dem Laptop. Es gibt hier keine Münchner Strizzis, die einfach so herumstrawanzen, denn Zeit ist Geld. Wer wüsste das besser als jene, die hier arbeiten? Und den Platz im Freien, man muss sich ihn auch leisten können und wollen. Zum Mittagstisch etwa steht die Entenbrust ganz oben auf der urigen, schwarzen Schiefertafel. 19,80 Euro kostet die. Ein Preis, bei dem man getrost annehmen darf, der Koch habe die arme Ente vor der Schlachtung persönlich in den sanften Tod gestreichelt. Da isst man auch als Siegertyp dann doch mit ruhigerem Gewissen Fleisch. Obwohl das gar nicht mehr so in ist. Text: Franz Kotteder

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Die glänzende Ich-Aktivistin

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(Foto: Johannes Simon)

Sie ist um die dreißig, perfekt gestylt und schlank, sehr wichtig ist ihr die Sonnenbrille, eine aktuelle Tom-Ford-Produktion, die noch viel cooler ist als alles, was Ray Ban je auf den Markt geworfen hat. Die Sonnenbrille schiebt sie entweder in ihre makellos glatten Haare (wenn der Münchner Himmel bedeckt ist) oder sie behält sie auf (sie gehört zu ihr wie die Tasche von Bottega Veneta). Manchmal streckt und dreht sie sich elegant nach hinten, offensichtlich um dem Kellner eine Anweisung zu erteilen, in Wahrheit aber, damit sie jeder im Umkreis des Odeonsplatzes sieht. Die schöne Glatte gehört zum festen Ensemble des inoffiziellen Staatstheaters im Café Tambosi. Dieses Theater hat fast das ganze Jahr Spielzeit, es gibt auch keine Sommerpause, der Betrieb fällt nur aus, wenn es regnet, schneit oder stürmt. Festes freies Mitglied im Ensemble sind außerdem: eine süditalienische Kellnerin, die jeden Gast mit einem gedehnten buona sera begrüßt; ein markanter älterer Herr, der in seiner verlebten Siebziger-Jahre-Eleganz an den Industriemagnaten Gianni Agnelli erinnert; ein jüngerer Strizzi im schwarzen Anzug, der ein blaugestreiftes Hemd mit weißem Kragen trägt und fortwährend Gespräche mit seinem Mobiltelefon führt, angeblich geht es um Fusionsverhandlungen mit einer britischen Anwaltskanzlei, die seit Wochen kurz vor dem Abschluss stehen. Sie alle sind mindestens so wichtig wie die Tom-Ford-Schönheit. Vor allem sind sie glückliche Menschen, denn sie können es sich leisten, täglich im Staatstheater zu sitzen. Text: Christian Mayer

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Der total bewusste Wassertrinker

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(Foto: N/A)

Wenn die Sonne auf den Gärtnerplatz scheint, dann ist dort kein Platz mehr frei: nicht in den Straßencafés, und auch nicht auf den Sitzbänken entlang der Straße und auf dem Platz. Doch egal: Der wahre Gärtnerplatzviertelbewohner will sich im Grunde sowieso nicht auf einer gewöhnlichen Sitzgelegenheit niederlassen. Er nimmt lieber die Picknickdecke mit dem echt schrägen Omamuster, die er kürzlich in einem total angesagten Secondhand-Laden entdeckt hat, packt in seinen Korb ein paar Tannenzäpfle oder Augustiner und steuert den grünen Mittelpunkt des Gärtnerplatzes an. Dort quetscht er sich auf einen der wenigen verbliebenen Rasenflecken und rührt sich mit seinen Freunden bis zur Morgendämmerung nicht mehr vom Fleck. In einem sind sich die Bewohner des Gärtnerplatzviertels einig: Niemals würden sie einfach so und irgendwie gekleidet auf die Bühne Gärtnerplatz treten. Alles ist Statement, jeder Tag ein neuer Auftritt, jeder Einzelne ein perfekter Darsteller seiner selbst. Die in ein hippiesk anmutendes Blumenkleid gewandete Mutter trägt eine Sonnenbrille mit weißem Rand und nippt an der Bio-Apfelschorle. Die erfolgreiche Geschäftsfrau setzt auf ein schonungslos durchchoreographiertes, perfekt fließendes Outfit. Der Verlagsmann trägt einen scheinbar schlichten, in Wahrheit aber selbst für Münchner Verhältnisse teuren, maßgeschneiderten Anzug. Er trinkt schlichtes und stilles Wasser, weil er am Wochenende einen Halbmarathon laufen muss. Die Nachmittagssonne scheint, und aus der Corneliusstraße tritt eine junge Frau, die einen interessanten Schatten wirft. Sie hat eine wild gemusterte Picknickdecke unter dem Arm. Text: Christina Warta

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Die divenhafte Glockenbach-Mutti

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(Foto: Rumpf)

Sie kaut Kaugummi, vor sich hat sie einen Kinderwagen, und der gehorcht sofort, er hat eine Scheibenbremse. Die Mama am Steuer beendet ihr Handygespräch, nimmt die Sonnenbrille ab, schaut sich eine Sekunde lang die Terrassenbelegung an, kaut noch zweimal und parkt ihren Wagen mit nur einem Zug auf dem Bürgersteig ein. Dann sinkt sie auf einen der hölzernen Kinderstühle und bestellt, so dass es alle hören, eine laktosefreie Latte Macchiato. In anderen Cafés der näheren Umgebung hätte dieser vollendete Dandy-Mama-Auftritt ein wenig Aufmerksamkeit erregt, hier nicht. Das Aroma Café in der Pestalozzistraße ist eine Mischung aus WG-Küche, Kindergarten-Stube und iDüpferl-Gemischtwarenladen. Hier beschäftigen sich die Gäste vor allem mit sich selbst, ihrer Lektüre oder ihrer Begleitung. Drinnen liest eine Dame im strengen Kostüm zwischen Vitrine und Auslage in einem Taschenbuch und schreibt nebenher Kurznachrichten in ihren Blackberry, einen Raum weiter diskutieren zwei Glockenbach-Kreative leise über das Skript zu einem Drehbuch und schauen nur kurz zum Fenster raus, als sich draußen neben der Kaugummi-Mama ein junger Mann in Lederjacke niederlässt und bestellt. Er beginnt, konzentriert auf einem schwarzen Netbook herumzutippen und greift ohne hinzusehen nach seinem Chai-Tea-Glas, schreckt dann hoch, als seine Schuhe von einem Collie beschnuppert werden. Nur das leise Klicken der Tastatur ist zu hören, alle hier draußen scheinen still und zufrieden die Sonne zu genießen. Da sagt eine Frau mit Blick auf den herumschnüffelnden Hund: "Mensch, der Arme, dem ist sicher ganz langweilig." Text: Philipp Crone

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Der goldgebräunte Klassiker

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(Foto: Stephan Rumpf)

Tjaja, der Herbst des Lebens... Er würde das nicht so nennen, er kann sich nicht beschweren, er steht noch voll im Saft, wie man so sagt. Das Haus ist bestellt, die Firma dem Sohn überschrieben, gegen eine monatliche Leibrente von 12.000 Euro, versteht sich. Damit lässt sich's leben. Freilich, das Café Nymphenburg Sekt auf dem Viktualienmarkt ist nicht mehr das, was es mal war. Als damals die Schrannenhalle aufgemacht hat, sind viele von den Gästen rübergezogen, "an die Proseccostandl, zu den Scampispießen und den Hummerschwanzerln". Sie sind aber auch nicht wiedergekommen, als der Landpomeranzentempel, der die Schrannenhalle zeitweise war, wieder dichtmachen musste. Ihm doch wurscht! Er ist eh dageblieben, bei seinem Weißbier, seiner Zeitung, den anderen Spezln und der Uschi mit ihren adretten Freundinnen. Und es ist ja auch nicht bloß deshalb, weil er sich was leisten kann. Er macht schon noch was her, mit dem Goldketterl auf der sonnengebräunten Brust, die er sich jeden Winter auf Gran Canaria herbrutzeln lässt. Und er kann immer noch einen guten Schmäh erzählen, da fehlt sich nix. Das kommt bei den leicht verlebten Blondinen vom Markt immer noch gut an. Auch wenn das Café hier fast ein bisserl zu schick geworden ist für sie und für ihn. Aber er kann noch mithalten, zur Not erzählt er halt von seinem Jaguar: "Ich sag' mir: Was brauche ich denn ein drittes Auto? Wenn ich schon die anderen zwei nicht ausfahre..." Bescheidenheit, das kommt neuerdings an, bei den Weibsbildern. Hat er festgestellt. Text: Franz Kotteder

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Die tierliebe Utopistin

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(Foto: N/A)

Wenn vom Mythos Schwabing die Rede ist, wird gern vergessen, dass es nicht nur um wilden Protest ging. Klar, die Bohèmiens der Prinzregentenzeit mit ihren freizügigen Gewändern und Moralvorstellungen wollten keinesfalls übersehen werden, später spielten die Blumenkinder am liebsten Bürger erschrecken. Insofern war Schwabing nicht bloß, wie die ausschweifende Fanny Reventlow schrieb, ein Zustand, sondern auch eine lautstarke Darbietung. Und dann gibt es noch die stille Seite. Das versponnene, entrückte Schwabing. Bloß nicht zu viel Realität. Den Geist der Phantasten und Utopisten hat die Kommerzmaschine rund um die Münchner Freiheit so gut wie geschluckt. Aber nicht ganz. Ein Souterrain-Imbiss, mit dem schönen Namen Alles Wurscht und ein paar zusammengewürfelten Sitzgelegenheiten im Freien, ist ein Hort altschwabinger Weltenbummlerei. Wobei die Reisen der Stammgäste, wenn der Eindruck nicht täuscht, zu nicht geringem Teil im Kopf stattfinden. In dem winzigen Lokal am Nikolaiplatz, wo nachmittags die röhrenden Pferdestärken der Leopoldstraße nur ein ferner Hall sind, träumen die Gäste von alten Zeiten. Ein in die Jahre gekommenes Paar im spätalternativen Ibiza-Look schwelgt in Urlaubserinnerungen ("Mei Granada, da haben wir oft einen Rausch g'habt, obwohl ich schon schwanger war"). Nebenan hat eine kaum frisierte Mittsechzigerin Platz genommen mit rotem Brillengestell und einer Kette aus schussergroßen Tonperlen, sie holt sich drinnen Weißweinschorle und liest selbstvergessen lächelnd Doris Lessing, während sich ihr Hund dabei langweilt. Die Wirtin brät ihre Currywürste selber und hat ein großes Herz für Traumtänzer, die mit Vorliebe in ihrem kleinen Garten stranden. Abends erstrahlt das Nikolaigärtchen im Schein psychedelisch anmutender Lichterketten und Glasampeln. Beim Hinausgehen bleibt der Blick an einer dieser Gratispostkarten hängen, und kein Motiv könnte besser passen: "The ship of dreams." Text: Anne Goebel

© SZvom 02.04./03.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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