Stimmen zum Tode:Ein letzter Tanz

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Sir Peter Jonas war 13 Jahre lang Intendant der Bayerischen Staatsoper. Doch um die Menschen für immer zu erobern, die ihm in München begegnet sind, brauchte er nur eine Sekunde zu lächeln

Von Susanne Hermanski

Sir Peter Jonas war ein Mensch, der das Leben und die anderen Menschen liebte. Allzu viel Trübsal hätte er nicht gern gehabt zu seinem Abschied, schon lieber eine Springflut aus Tränen und ein Tänzchen danach. Und so klingen denn auch die Stimmen seiner Wegbegleiter zum Tod dieses Mannes, der 45 Jahre lang mit und gegen den Krebs gerungen hat und immer weiter dabei flirtete mit der Welt: Sie sind tief betrübt und doch voll der schönen, ungeheuer lebendigen Erinnerungen. 13 Jahre lang, von 1993 bis 2006 war er Intendant der Bayerischen Staatsoper. Und auch danach war der Brite und Weltenbürger noch ein beliebter, häufiger Gast in München, wo auch eine seiner großen Lieben wohnte.

Im Kilt war Sir Peter Jonas oft zu sehen. (Foto: Günther Reger)

Sein Nachfolger im Amt des Intendanten der Bayerischen Staatsoper Nikolaus Bachler sagt etwa, "seit der Ära Jonas hört das Publikum in München (auch) mit den Augen". Sir Peter Jonas sei ein Glück gewesen für die Stadt "mit seinem englischen, oftmals das Absurde streifenden Humor und seiner großen Disziplin und britischen Coolness". So habe "der 'Kinofan' und allem Visuellen aufgeschlossene Sir Peter hier einen neuen Blick auf die Opernkunst geschult". Doch auch die gesamte Musik- und Opernwelt habe in Sir Peter Jonas einen großen Mann verloren. "Er hat über Jahrzehnte das Musiktheater- und Konzertleben mit Mut, mit Originalität, mit Energie und unbändiger Lust am Risiko geformt", sagt Bachler. "Er definierte das Gefühl und Verständnis des Publikums für Musiktheater vollkommen neu und positionierte diese Kunstform weit über München hinaus in der Gesellschaft des 21. Jahrhunderts. Wir werden ihn vermissen und uns seiner dankbar erinnern - auf der ganzen Welt und gerade in München."

Und wie sie sich erinnern, die Münchner! Der Vorsitzende der "Freunde des Nationaltheaters", in dessen Ehrenpräsidium Peter Jonas einen festen Platz hatte, Monsignore Siegfried Kneissl beispielsweise. Ihm fällt sogleich das Bild von Peter Jonas beim "Operator-Anstich" in Odelzhausen ein, mit dem die Unterstützer der Oper viele Jahre lang das erste Fass ihres eigens gebrauten Festspielebiers feierten. "Da stand Peter Jonas bei seiner launigen Rede im Schottenrock auf einer Bierbank", sagt der Monsignore. "Und die Frage, die alle die ganze Zeit über beschäftigte, was denn nun der Schotte unter seinem Rock trage, der entzog sich Peter Jonas überaus elegant. Er sagte, die Antwort müsse er schuldig bleiben. Seine Redezeit sei nun leider beendet."

Herzlich umarmt Sir Peter Jonas seinen Nachfolger Nikolaus Bachler. (Foto: Robert Haas)

Freilich fehlen auch die Erinnerungen nicht, die staatstragenderen Charakter haben. Bayerns Kunstminister Bernd Sibler betrauert "den Verlust eines großen Opern-Revolutionärs" und weiß dabei eben auch um Jonas' Sprengkraft: "Händelopern mit Dinosauriern, Siegfried und Brünnhilde auf dem Schrottplatz: Solche Bilder musste man in München seinerzeit erst einmal verkraften", schreibt er. "Für Sir Peter Jonas konnte eine Oper auch zeitgenössisch sein, wenn sie über 300 Jahre alt war. Der Mut zum künstlerischen Blick nach vorne ist während seiner Intendanz zum Markenzeichen der Bayerischen Staatsoper geworden. Der Kulturstaat Bayern habe ihm viel zu verdanken. "Energisch" habe er sich für die Uraufführung von zeitgenössischen Komponisten und das Projekt "Oper für alle" eingesetzt. Bei dem genießen jedes Jahr (das keine Corona-Krise und keinen Amoklauf kennt) abertausende Münchner vor und hinter dem Nationaltheater kostenlos und im Freien die hohe Kunst der Sänger und Musiker ganz nah. Sibler erinnert auch daran, dass Sir Peter Jonas zudem Beiratsmitglied der Technischen Universität München war.

Auf dem Nagelbrett posierte Jonas für eine Silvestervorstellung, bei der er als Schlangenbeschwörer auftrat. (Foto: Stephan Rumpf)

Der Komponist Jörg Widmann, der einer dieser Zeitgenossen war, für die sich Jonas so vehement einsetzte, ruft aus: "Mein Gott, Peter Jonas ist tot - Sir Peter! Einer der nobelsten, humorvollsten, originellsten, liebenswürdigsten Menschen, die wir Musik-und Theatermenschen als einen der Unsrigen wissen durften, ist gegangen." Und er beschreibt die gemeinsame Geschichte: "Kennengelernt hatte ich ihn in all seinem unkonventionell-mitreißenden Wesen in seinem Intendanzbüro in der Bayerischen Staatsoper, als er mich um 2000 herum fragte, ob ich mir nicht vorstellen könnte, eine Oper zu schreiben". Das Resultat war 'Das Gesicht im Spiegel', 2003 im Cuvilliestheater uraufgeführt. "Wir hielten über die Jahre Kontakt - ein Geschenk", sagt Widmann. "Noch im Juni letzten Jahres sind wir uns in Berlin wiederbegegnet, in der Generalprobe für mein Labyrinth IV im Boulez-Saal mit Daniel Barenboim. Seine Stimme war schwach geworden - doch was für eine Power, Energie und positive Ausstrahlung nach wie vor!", erzählt der Komponist. "Nach der abendlichen Uraufführung umarmten wir uns lange. Er war ja durch und durch angelsächsisch unsentimental - doch wir spürten beide, dass dieser Moment auch ein Abschied war. Er fehlt jetzt schon. Die Musikwelt wird ihn nie vergessen - und München ihn auf ewig lieben."

Ulrich Wilhelm, der Intendant des Bayerischen Rundfunks, betont, wie sehr Peter Jonas "im genialen Zusammenspiel mit Zubin Mehta als Generalmusikdirektor" die Bayerische Staatsoper für neue Formen und Regiekonzepte geöffnet und das Publikum für die großen Barock-Opern von Georg Friedrich Händel begeistert hat. "Ich habe ihn auch als Persönlichkeit geschätzt, der seine Stimme über die Oper hinaus in die Öffentlichkeit eingebracht hat, insbesondere in kulturpolitische Debatten", sagt Wilhelm. "Der Bayerische Rundfunk hat ihm viel zu verdanken, ich denke besonders an die gute Zusammenarbeit mit der Staatsoper und seine engagierte Mitarbeit im Rundfunkrat."

Diana Iljine, die Chefin des Münchner Filmfests bestätigt, was Nikolaus Bachler über Peter Jonas Begeisterung für das Medium Film sagt, denn er hat vier Jahre lang auf ihrem Festival eine eigene Reihe über Serien kuratiert und vorgestellt. "Ich habe selten jemanden kennengelernt, der so ein großes Herz und so eine Offenheit mitbrachte wie er. Das war schon bei unserer allerersten Begegnung so", erzählt sie. "Es war Filmfest, ich hatte ihn und seine Frau, die ihren Geigenkasten mit sich trug, im Kino gesehen und angeboten, die beiden in meinen Wagen ein Stück mitzunehmen. Da erzählte er mir, dass er in seinem Haus in der Schweiz ein eigenes Kino hatte und er schon immer ein riesiger Serienfan sei, angefangen bei den Soap-Operas der Fünfzigerjahre." Sie habe ihn sofort gefragt, ob er nicht eine Reihe kuratieren wolle, und Jonas habe zugesagt, "aber nur wenn er seinen besten Freund Steffen Huck, einen Berliner Ökonomie-Professor mitbringen durfte". Durfte er natürlich. Und so eroberte er, der regelmäßig Ballettstunden nahm, nach dem Münchner Opernpublikum "mit jeder Geste zur Begeisterung lockend" (so Iljine) endlich auch noch das Münchner Filmpublikum im Sturm.

Und, was besonders gut passt zu Jonas feiner Freude am Absurden, er war sogar Botschafter Bayerns in der Welt. Wer es bezweifelt, der frage Hans Well. Als der noch Mitglied der Biermösl Blosn war, da hat er Sir Peter einmal auch nach Japan begleitet: "Wir waren mit ihm um 2010 rum zum Jahr der Deutsch-Japanischen Freundschaft in Tokio", erzählt Well. "Peter Jonas, der eher die Monty Pythons verkörperte als die üblichen hochernsten hochsteifen deutschen Kulturträger, war für manche Goethe-Instituts- oder Auswärtige-Amt-Repräsentanten eine Begegnung der Dritten Art. Dem Deutschlandbild in Japan hat er also mit Sicherheit gut getan."

© SZ vom 24.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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