Bürgerentscheid in Wörthsee:Was für den Supermarkt spricht - und was dagegen

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Jeder zweite Wörthseer hat eine Woche vor dem Entscheid bereits per Brief über den geplanten Bau an der Kuckuckstraße abgestimmt. Für die Unentschlossenen beantworten Befürworter und Gegner die wichtigsten Fragen.

- Braucht die Gemeinde einen weiteren Supermarkt? Diese Frage bewegt und spaltet die Wörthseer. Eine Woche vor dem Bürgerentscheid am 21. März liegt die Wahlbeteiligung bereits bei 50 Prozent. Jeder zweite der 4163 Berechtigten hat per Brief abgestimmt, teilt Bürgermeisterin Christel Muggenthal mit. Für die Unentschlossenen hat die SZ Befürworter und Gegner um Antworten auf die wichtigsten Fragen gebeten. Das Bündnis "Rettet den Kuckuckswald" lehnt den Bau ab und hat in wenigen Wochen 850 Unterstützer für ihr Bürgerbegehren gewonnen, für die Gruppe antworten Doja Muggenthaler, Hanna Weber und Michael Benzinger. Der Gemeinderat befürwortet das Projekt mit großer Mehrheit und kontert per Ratsbegehren, es antwortet die Bürgermeisterin. Die Abgabe der Briefwahlunterlagen ist bis 18 Uhr am Wahltag möglich. Ein Wahllokal wird es nur in der Grundschule geben.

Braucht Wörthsee einen Supermarkt an der Kuckuckstraße?

Pro: In unmittelbarer Nähe zu Kindergarten, Schule und Kirche wird ein neues Quartier entstehen, das ökologisches Wohnen für alle Generationen und Geldbeutel in Wörthsee bietet - von der Starterwohnung für junge Menschen über Familienwohnungen bis hin zur barrierefreien Seniorenwohnung. Auch ein neues Kinderhaus ist in Planung. Vier Mal pro Stunde fährt ein Bus an der Etterschlager Straße. Wo, wenn nicht hier, würde ein weiterer Nahversorger in Wörthsee Sinn machen? Zumal dieser Nahversorger Grundlastabnehmer und Abwärmelieferant für das geplante klimaneutrale Nahwärmenetz wäre.

Contra: Wörthsee hat bereits einen Vollsortimenter in Waldbrunn. Berechnungen des Wirtschaftsministeriums sagen: Für einen Markt dieser Größe sind mindestens 5000 Kunden im Umkreis nötig. Da Wörthsee zirka 5000 Einwohner hat und in Nachbarorten neue Märkte zu erwarten sind, kann sich das nicht rechnen. Genossenschaftswohnungen, Nahversorgung und Kinderhaus sollten zusammen geplant werden. Dabei muss die Bevölkerung miteinbezogen werden. Es ist unverantwortlich, zuerst den Supermarkt hinzusetzen und dann den Rest zu planen. So überlässt die Gemeinde dem Investor zu viel Gestaltungsmacht.

Die Gegner protestieren am Freitagnachmittag bei einer Mahnwache gegen die dafür nötige Rodung von Bäumen auf 2000 Quadratmetern. (Foto: Nila Thiel)

Ist es vertretbar, dafür Bäume auf 2000 Quadratmetern zu roden?

Pro: Um dem genossenschaftlichen Bauen ausreichend Fläche anbieten zu können, hat der Gemeinderat entschieden, den Nahversorger etwas über den Waldrand zu schieben. Wir haben dabei ein gutes Gewissen. Die Reduzierung des Waldes um 2000 Quadratmeter wird durch die Aufforstung am Ziegelstadel mit 2943 Quadratmeter Fläche hochwertig ausgeglichen: Ein Mischwald mit Baumarten, die mit Hitze und Trockenheit besser zurechtkommen. Im Bauholz des geplanten Nahversorgers sind rund 380 Tonnen CO₂ für viele Jahrzehnte gespeichert, dies entspricht zirka dem 400-Fachen, was die zu fällenden Bäume pro Jahr binden.

Contra: Durch Rodung fast der Hälfte des "Kuckuckswaldes" wird ein Biotop zerstört. Dort leben zehn Fledermausarten, Springfrosch, Kammmolch, Laubfrosch und viele gefährdete Vogelarten wie Kuckuck und Rauchschwalbe. Die Bodenvegetation ist sehr vielseitig, sogar eine Orchideenart wächst dort. Es besteht Gefahr, dass die restlichen Bäume später als "Gefahrenbäume" eingestuft werden, weil sie bei Sturm auf den Parkplatz stürzen könnten. Die hohe CO₂-Bindung dieses Buchenwaldes wird durch Ersatzpflanzung erst in 30 bis 50 Jahren ausgeglichen. Wörthsee darf seine Schätze nicht verscherbeln.

Wie sehr würde der Verkehr die Gegend belasten?

Pro: Hier zeigt sich der Vorteil der Quartiersentwicklung: Kurze Wege, keiner muss ins Auto, viele Treffpunkte, schnelles, einfaches Einkaufen im Markt oder beim Bäcker, Kinderbetreuung, Schule und Kirche, alles in unmittelbarer Nähe. Es wird nicht mehr Autoverkehr entstehen, er wird sich neu verteilen. Wörthseer, die bisher zum Einkaufen nach Waldbrunn gefahren sind, werden nun in Richtung Kuckuckstraße abbiegen. Zudem wird die Etterschlager Straße im Kreuzungsbereich verkehrsberuhigt. Vertraglich abgesichert ist, dass die Anlieferung nicht vor 7 Uhr erfolgen darf.

Contra: Die starke Zunahme des Verkehrs wird vom Gutachter klein gerechnet, er benützt die Zahlen des Investors (600 Pkw pro Tag), die denen des Wirtschaftsministeriums (960 Pkw) widersprechen. Der neue Verkehrsknoten Etterschlager Straße/Kuckuckstraße wurde gar nicht untersucht, obwohl er nur 80 Meter neben der Einfahrt zum Supermarkt liegt. Zum ohnehin starken Verkehr kommen rund 1270 Pkw- und etwa zwölf Lkw-Fahrten pro Tag dazu. Durch die Steigungen der Zufahrten entsteht zusätzlicher Lärm, der die umliegende Wohnbebauung belastet. Genaueres dazu unter www.zum-kuckuck.org.

An der Kuckuckstraße sollen ein Supermarkt und darüber 16 kleine „Starterwohnungen“ entstehen. Visualisierung: Quest AG/oh (Foto: N/A)

Wo sollen sich die künftigen jungen und alten Bewohner der 150 Wohnungen in der neuen Ortsmitte sonst versorgen? Genügt der Supermarkt in Etterschlag?

Pro: Wörthsee hat Bedarf für einen zweiten Nahversorger und auch die entsprechende Kaufkraft. Im Umkreis des neuen Marktes werden inklusive der bestehenden Nachbarschaft künftig zirka 700 Wörthseer Bürger wohnen. Ohne zweiten Nahversorger wird es sicher einen deutlichen Zuwachs an innerörtlichen Versorgungsfahrten der Bewohner geben. Die Möglichkeit, Einkäufe zu Fuß zu erledigen oder im Café Bekannte zu treffen, erhöht nicht nur für Senioren die Lebensqualität. Auch junge Leute haben oft kein Auto.

Contra: Wir sagen "Ja" zu einem kleineren Nahversorger, durch den der Wald nicht gefährdet wird. Da Wörthsee den Klimanotstand ausgerufen hat, muss es auch danach handeln: Die Gemeinde muss dafür sorgen, dass Läden gefördert werden, in denen vorwiegend frische, regionale, faire, am besten biologische und verpackungsarme Waren verkauft werden. Immer mehr Menschen interessieren sich für Nachhaltigkeit, Tierwohl und gesunde Ernährung. Mit mehr Hartnäckigkeit hätte die Gemeinde das frühere Tengelmann-Gelände hierfür gewinnen können, aber auch ein kleinerer Neubau wäre möglich.

Könnte ein Geschäft nach Vorbild des geschlossenen Dorfladens ausreichen?

Pro: Wir hatten bereits einen Dorfladen, der nach knapp zwei Jahren trotz hohen ehrenamtlichen Engagements mangels Kundeninteresse schließen musste. Jahrelang wurden vergeblich Interessenten gesucht, die mit einer kleineren Verkaufsfläche als den auf dem Land noch immer üblichen 1200 Quadratmetern zufrieden gewesen wären. Die 940 Quadratmeter Verkaufsfläche, die jetzt gebaut werden, sind ein guter Kompromiss. Kaum vorstellbar, einem Interessenten eine kleinere Verkaufsfläche, Tiefgarage und Mitsprache beim Sortiment vorzuschreiben, frei nach dem Motto: Du hast zwar mehr Kosten, aber dafür weniger Einnahmen.

Contra: Das Scheitern des Dorfladens wird von den Verfechtern des Vollsortimenters als Gegenargument benützt. Da das Konzept wohl nicht funktioniert hat, ist es müßig, diese Frage zu stellen. Seine Größe wäre okay, zumal in der Ortsmitte beim Kirchenwirt auch noch ein Laden vorgesehen ist. Wörthsee sollte als Gemeinde, die den Klimanotstand ausgerufen hat, die Sackgasse der Vollsortimenterplanung verlassen und einen ökologischen Laden fördern, der positiv in die Zukunft wirkt. Dies würde als positives Beispiel einen wirklichen Beitrag zum Klimaschutz leisten.

© SZ vom 13.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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