Wir öffnen Türen:Wunderwelt hinter der grünen Ladentür

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Für eine Lesung in der Reihe "Literarischer Herbst" schlüpft Elisabeth Carr in die Rolle einer Verkäuferin. Diese Veranstaltung im vergangenen Oktober war eine der seltenen Gelegenheiten, die Räume an der Hauptstraße zu betreten. (Foto: Georgine Treybal)

In den Regalen des seit Jahren geschlossenen Kaufhauses Biller liegen immer noch Stoffballen und Haushaltsgeräte

Von Patrizia Steipe, Starnberg

Drei Stufen führen zu der breiten grünen Ladentüre. "Johann Biller gegründet 1804" steht auf dem Schild über dem Eingang. Doch die Türe des Geschäfts an der viel befahrenen Hauptstraße in Starnberg ist fest verschlossen und das schon seit Jahren. Für einen Nachmittag im Oktober hatte Elisabeth Carr den Gemischtwarenladen für ein kulturelles Happening aus seinem Dornröschenschlaf geholt und die Türen geöffnet.

Drei, vier Schritte und man betritt wie durch einen Zauberspiegel eine andere Welt. Staunende Blicke erfassen die alte Ladeneinrichtung aus der Biedermeierzeit, die mit Intarsien verzierte Holztheke, die Schubfächer mit Beschriftungen wie "Weihrauch", "Farinzucker", "Wäscheblau". In den Regalen türmen sich Stoffballen, modische Einzelstücke und kurios anmutende Haushaltsgegenstände lagern in den Schubladen. "Als Kind war ich immer hier", erinnert sich die Starnbergerin Carr. Für sie war es eine Wunderwelt, in der sich alle Wünsche erfüllen ließen. "Alles, einfach alles gab es", schwärmt die Kulturmanagerin. Hinter der Theke wachte die "Trudi" über ihr Reich. "Geh mal schnell zur Trudi", sagte die Mutter, wenn etwas im Haushalt fehlte. Sie bekam dann nicht nur das Gewünschte - mal einen Faden, mal Stricknadeln - sondern freundliche Worte "und auch ein Guadl gab's immer". Später als junge Mutter hat Carr Faschingsstoff für die Kinder geholt, "oder einen schönen Samt für einen Schal". Carr hat sogar noch einen Gutschein über den Gegenwert eines Rocks, den sie einst zurückgegeben hatte. Einlösen kann sie ihn nicht mehr. Die Kasse ist verschlossen.

"Die letzte Rechnung aus dem Jahr 2013 hängt noch an einem Haken im Laden", berichtet Carr. Die "Trudi Biller" hieß eigentlich Gertrud Weiß und war die Enkelin der Gründer Johann und Kreszentia Biller. Bis vor wenigen Jahren hat sie noch selbst verkauft. Das Angebot wurde im Laufe der Zeit reduziert, "zum Schluss gab es kaum noch Lebensmittel". Die Zeiten hatten sich geändert. Das setzte auch dem Starnberger Geschäft zu. Bäcker, Fleischer, der Milchladen hatten da schon längst geschlossen. "Dabei gab es hier immer gute Qualität. Wer kein Glump haben wollte, ging zum Biller", wusste Carr.

Und was ist mit der Trudi? Sie ist vor Kurzem 90 Jahre alt geworden. Den Laden hat sie zwar geschlossen, aber sie ist immer noch da und bewahrt ihn. Der Laden stehe dafür, sich Zeit zu nehmen und Geschichten zu erzählen, dafür zur Ruhe zu kommen und für Klarheit. "So ein Laden täte uns in unserer heutigen hektischen Zeit gut", seufzt Carr. Dann wird die Türe wieder fest versperrt.

© SZ vom 15.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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