Wildblumen für die Verkehrsinseln:Natternkopf und Ochsenzunge

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Blaue Periode an den Straßen in Starnberg: Aus faden Grünstreifen lässt die Stadtgärtnerei in drei Jahren artenreiche und farbenprächtige Wildblumenwiesen entstehen, die von Bienen, Hummeln und Schmetterlingen umschwärmt werden

Von Armin Greune, Starnberg

Für den Naturfreund hält der verregnete Frühsommer wenigstens einen Trost bereit: Die Vegetation ist geradezu explodiert und blüht nun in allen Farben. Das Blaue Wunder auf den Iriswiesen östlich von Dießen ist zwar inzwischen vergangen. Aber auch Starnberg kann mit azurner Blütenpracht und von Bienen, Hummeln und Schmetterlingen umschwärmten Wildblumen glänzen. Und das nicht etwa nur in der Maisinger Schlucht oder in den Würmauen, sondern auch und gerade entlang der Asphaltadern dieser verkehrsgeplagten Kreisstadt. Zwar stehen die Pflanzenarten nicht neben der Iris als stark gefährdet auf der Roten Liste, doch lassen sich auf einer floristischen Exkursion durchaus auch farbenprächtige Raritäten wie Karthäusernelke oder Ochsenzunge entdecken. Dabei übertrifft der Artenreichtum im sogenannten Straßenbegleitgrün sämtliche Wirtschaftswiesen vor den Toren der Stadt, die unter der regelmäßigen Mahd und Überdüngung verarmt sind.

Allein neben der Gautinger Straße nördlich vom Parkplatz für den Bahnhof Nord finden sich mehr als 25 verschiedene Wildpflanzen, die im Moment florieren - ohne die mitzuzählen, die ihre Blütezeit bereits hinter oder noch vor sich haben. Viele Wiesenstreifen haben gerade ihre Blaue Periode: Wiesensalbei und Natternkopf dominieren das Bild, beide wirken geradezu magnetisch auf Bienen und Hummeln. Dazwischen bläut noch die eine oder andere Kornblume, Luzerne oder die erwähnte Ochsenzunge. Rotviolett protzen Wiesenflockenblume, wilde Malve und Witwenblume, dezenter zeigen etwa Wiesenglockenblume, Zaunwicke oder Storchschnäbel einen ähnlichen Farbton. Leuchtend gelb präsentieren sich Raps, Habichtskraut, Hornklee, Färberkamille und auf ganz kargem Boden Mauerpfeffer; Hundskamille und Margerite vertreten die Kombination mit weiß, Schafgarbe und Leimkraut geben sich ganz als unschuldige Bräute.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wildblumen wie Leimkraut...

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

...oder Margerite erfreuen nicht nur das Auge, sondern auch pollensammelnde Insekten.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Natternkopf...

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

...wirkt auf sie geradezu magnetisch.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Die Luzerne wird zwar erst seit dem 18. Jahrhundert in Deutschland als Futterpflanze für Nutztiere mit Hufen angebaut - sie dient aber auch Bienen und Hummeln als Nahrung.

Seit zwei Jahren ist die Stadt Mitglied im Netzwerk "Blühende Landschaften". Thomas Virck, für Bürgermeisterin Eva John "Starnbergs Obergärtner", hatte bereits zuvor begonnen, insektenfreundliche Straßenränder anzulegen. "Überdimensional viel Lob für die Bepflanzung" bekomme man von den Bürgern, sagt John. 2012 säte Virck an der Gautinger Straße eine Wildsamenmischung aus, die viele begeisterte Anrufe im Rathaus nach sich zog. Doch nach einem Jahr war fast alles verschwunden, denn die einjährigen Pflanzen vermehrten sich kaum. "Man probiert halt viel herum", sagt Virck. Inzwischen hat er ein System entwickelt, wie sich Rasen in drei Jahren dauerhaft in einen Wildbienensaum verwandeln lässt. Um den Boden auszumagern muss zunächst die Grasnarbe ausgekoffert werden, dann wird gewaschener Natursand aufgetragen. Das Ergebnis sieht erst einmal aus wie eine graue Wüste: "Dann rufen die Leute an, schimpfen und fragen, was das denn jetzt soll". Daher stellt Virck nun auf diesen Kahlflächen Informationstafeln auf - wie auf der frisch angelegten, 600 Quadratmeter großen Wiese vor dem Kindergarten an der Prinz-Karl-Straße. Im Juli nächsten Jahres werden dort die ersten Wildblumen zu sehen sein: Aber erst im dritten Jahr zeigt sich die volle Pracht, wie heuer an der Unterführung beim Bahnhof Nord oder entlang der Petersbrunner und Gautinger Straße.

Etwa 500 Quadratmeter jährlich werden so in Starnberg in naturnahe Blumenwiesen überführt. Die klassischen Wechselbeete mit Tulpen, Stiefmütterchen und Primeln legen Virck und seine 13 Kollegen nicht mehr neu an - nur noch die Pflanztröge und einige Verkehrsinseln sind in Starnberg so bepflanzt. Für das Material gibt die Stadt etwa 5000 Euro jährlich aus. Im Gesamtetat der Gärtnerei von 235 000 Euro "spielt das in Relation zu den Personalkosten eine absolut untergeordnete Rolle", sagt John. An jedem Wechselbeet sind jährlich drei Pflanz- und Pflegegänge nötig und für die Gärtner ist es kein Vergnügen auf den verkehrsumtosten Mittelstreifen zu arbeiten. Deshalb werden auch die Container nach und nach mit langlebigen Stauden bestückt, zum Teil auch mit dekorativeren Zuchtformen. "Wichtig ist, dass nur ganz wenige gefüllte Blüten darunter sind", sagt Virck. Diese genetisch veränderten Blumen enthalten keinen Pollen und sind für Insekten nutzlos. Kein Wunder, dass die Starnberger Imker es ausdrücklich begrüßen, wenn die Stadt nun gezielt Blumen für die Bestäuber sät und pflanzt. Zwar sind auch in den Wildblumensäumen klein Nachbesserungen erforderlich, aber nach dem dritten Jahr "erhält sich das System im Prinzip selbst", sagt Virck. Voraussetzung sei eine Pflege, die Selbstaussaat fördert: Die erste Mahd erfolgt nach der Samenreife im Juli und der Schnitt wird erst Tage später abgerecht, wenn die Samen herausgefallen sind. Insgesamt erspart die Umstellung auf naturnahe Bepflanzung also Arbeit und damit auch Kosten. "Allerdings nur, wenn man geschultes Fachpersonal hat", sagt Virck, denn die Aufgabe sei kompliziert: Schon bei der Unterscheidung von Wildblumen vom sogenanntem Unkraut sei viel Erfahrung nötig. Die Übergänge sind ohnehin fließend, wie das Beispiel Klatschmohn zeigt, der sich vor dem Gymnasium ausgesamt hat, und von den Gärtnern toleriert wird. Virck ist nun seit 25 Jahren "mit Leib und Seele dabei". Und sein eigener Garten? "Besteht aus einem 1,5 Quadratmeter großen Pflanztrog." Für jemanden, der Herr über Hektar von Wildblumenwiesen ist, reicht das.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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