Vorstellung:Leberwurst und Suizid

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Theatergruppe des Gymnasiums Schäftlarn gibt russische Komödie

Von Julie Heiland, Schäftlarn

Es ist mitten in der Nacht, und es geht um die Wurst. Genauer gesagt: um die Leberwurst. Auf die hat der arbeitslose Semjon nämlich Heißhunger, weshalb er seine Gattin aufweckt. Mascha kann ihren Ohren kaum trauen. Ein fürchterlicher Ehestreit entwickelt sich, bei dem Semjon sich in seiner Raserei unglücklich ausdrückt.

Mascha ist sich sicher: Ihr Gatte will Suizid begehen. Der Beginn skurriler Verkettungen. Die russische Komödie "Der Selbstmörder oder: Die Liebe zur Leberwurst" ist eine eher unbekannte Perle, die das Theaterensemble des Schäftlarner Gymnasiums für sich entdeckt hat.

Das Stück stammt aus der Feder von Nikolai Robertowitsch Erdman (1900 bis 1970), in der damaligen UdSSR durfte es erst zwölf Jahre nach Erdmans Tod aufgeführt werden. Russische Revolutionslieder, die während der kurzen Umbaupausen eingespielt werden, stimmen auf das Geschehen ein - irgendwo im Russland der Zwanzigerjahre. Bühnenbild und Requisiten sind auf das Nötigste beschränkt, aber treffend gewählt. In der Wohnstube hängen Stalin und ein Kirchenfürst gerahmt an der Wand. Recht viel mehr braucht es nicht, um den Kosmos aufzuzeigen, in dem Semjon sich zu behaupten versucht.

Das Stück auszuwählen, sei schon ein Wagnis gewesen, sagt Herbert Schmid, Regisseur und Leiter der Theatergruppe. Aber die Schüler seien von Anfang an begeistert gewesen. Die pfiffigen Dialoge und die irrwitzigen Situationen kommen auch beim Publikum gut an. Zwei Stunden sorgen die talentierten Schauspieler für Theatervergnügen.

In Panik, ihr Mann würde sich das Leben nehmen, ruft Mascha einen Nachbarn zu Hilfe. Damit bleibt Semjons vermeintlich angekündigter Freitod nicht lange eine familieninterne Angelegenheit. Schon bald stehen Vertreter verschiedenster Interessensgruppen auf der Matte, die alle Semjons angekündigten Suizid als Märtyrertod für ihre Sache vereinnahmen wollen: von einem Priester der orthodoxen Kirche über eine romantische Erotomanin bis hin zu einer Vertreterin der russischen Intelligenz.

"In unseren Zeiten", sagt Letztere, "kann nur ein Toter aussprechen, was ein Lebender denkt." Schnell wird klar: Bei dem Stück handelt es sich nicht nur um einen unterhaltsamen Schwank, sondern auch um eine bissige Satire.

Der Antiheld Semjon, der mit großem Engagement vom sechzehnjährigen Noah Kraus verkörpert wird, durchlebt die verschiedensten Gefühle. Anfangs wollte er doch nur Leberwurst. Und auf einmal wird er dank seines erhofften baldigen Ablebens als Nationalheld gefeiert. Das schmeichelt ihm, und er ist bereit, sein Leben zu opfern. Doch je näher sein geplanter Suizid rückt, desto mehr gerät er ins Grübeln. "Gibt es ein Leben nach dem Tod?"

Das Chaos nimmt seinen Lauf. Eine üppige Abschiedsfeier wird organisiert. Die ersten Kondolenzkränze treffen ein. Ehrlich traurig über Semjons Tod ist nur Mascha, die liebevolle Gattin, überzeugend gespielt von der siebzehnjährigen Flurina Schuster. Stets an ihrer Seite: die Mutter, herrlich stoisch dargestellt von Gioia Jung. Ebenfalls in einer größeren Rolle zu sehen ist Laurenz Eibl, der als lüsterner und geldgieriger Nachbar das Publikum wunderbar amüsiert.

Ein letzter Umbau des Bühnenbilds. Im Zentrum steht nun ein Sarg. Dahinter ragen schwarze Kreuze empor. Der Friedhof. Die Atmosphäre: düster, kalt, gnadenlos. Alle haben sich versammelt, um von Semjon Abschied zu nehmen. Das Problem: Der Märtyrer ist noch gar nicht tot! Er will auch nicht mehr sterben. Stattdessen hält er eine leidenschaftliche Rede, in der er erklärt, er opfere sich für keinerlei Ideale. Eine Kritik am Enthusiasmus der Revolutionäre zur Stalin-Zeit.

In der Vorbereitungsphase hatte Regisseur Schmid kurz gefürchtet, sich mit dem Stück übernommen zu haben. Tatsächlich ist ihm mit den etwa vierzig Mitgliedern der Theatergruppe und seinen Co-Regisseuren Ruven Bircks und Elias Emmert eine Inszenierung gelungen, die berechtigter Weise großen Applaus erntet.

Das Stück endet mit der philosophischen Frage: "Wozu leben?" Die Antwort: "Für das Leben." Es geht also um weit mehr als die Leberwurst.

© SZ vom 02.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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