Verkehr:Verwirrung im Starnberger Sperrbezirk

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Die Stadt will ein Wohngebiet mit Anlieger-frei-Zone und Tempo 30 vom Durchgangsverkehr befreien. Doch die Umsetzung hat zu viele Mängel, finden Fahrlehrer Thomas Schubert und die Polizei.

Von Christine Setzwein, Starnberg

Das Experiment ist auf eineinhalb Jahre ausgelegt und läuft seit knapp fünf Monaten. Seit Mitte April ist das Wohngebiet zwischen Hanfelder Straße im Westen, Hochwaldstraße im Norden, der Bahnlinie im Osten und der Rheinlandstraße im Süden Anlieger-frei- und Tempo 30-Zone. Ziel der Stadt Starnberg ist es, die Bewohner vom Schleichverkehr zu entlasten. Realität ist, dass es täglich Staus auf der Hanfelder Straße gibt, dem Anschein nach noch mehr und noch längere als früher. Mehr Lärm und mehr Abgase für die dortigen Anlieger.

Thomas Schubert ist Fahrlehrer, Eigentümer der Fahrschule Schubert in Starnberg sowie Kreisvorsitzender des Landesverbands Bayerischer Fahrlehrer. Der 47-Jährige ist täglich auf der Straße, das Wohnquartier kennt er gut, weil er vor der Ausweisung als Anlieger-frei-Zone dort mit seinen Schülern die Vorfahrtsregeln und das Einparken geübt hat. "Es ist gut, wenn Anwohner geschützt werden", sagt er, "aber nicht zum Preis von Riesenstaus woanders."

Weiße Haltelinien, wo sie nicht hingehören. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Wer von der Leutstettener Straße rechts in den Riedener Weg abbiegt, sieht erst das Schild Fahrradstraße mit dem Zusatz "Anlieger frei", wenn er schon in der Straße drin ist. Auch auf der Fahrbahn ist das blaue Fahrradsymbol aufgemalt. Im Riedener Weg ist am frühen Nachmittag normaler Verkehr, am Straßenrand parken Autos. Was nicht zu sehen ist, sind Radfahrer. Für Thomas Schubert ist die Wahl des Riedener Wegs als Fahrradstraße nicht nachvollziehbar. "Hier sollte doch auch verstärkt Radverkehr stattfinden, aber das ist nicht der Fall."

Schon im April hatte sich Schubert in einem Brief an den Starnberger Stadtrat und die Regierung von Oberbayern gewandt. Er ist der Meinung, dass der Stadtratsbeschluss vom Dezember 2017, ein "820 000 Quadratmeter" großes Quartier für den Durchgangsverkehr zu sperren, gegen geltendes Recht verstoße und nicht umsetzbar sei. Diese Größenordnung sei unverhältnismäßig in Anbetracht der Tatsache, dass sich der Verkehr auf den Hauptverkehrswegen Hanfelder, Söckinger und Münchner Straße "erheblich erhöhen wird und ein künstlich hervorgerufener Verkehrskollaps entsteht". In dem Schreiben zählt der Fahrlehrer auch gleich auf, welche Verkehrszeichen in dem Gebiet falsch seien.

Der Starnberger Fahrlehrer Thomas Schubert moniert in der großen Anlieger-frei-Zone zwischen Hanfelder Straße und Bahnlinie so einiges. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

"Grundsätzlich gilt in einer Tempo-30-Zone die Regelung rechts vor links", sagt er. Aber an der Josef-Siegl-Straße Ecke Bozener Straße und Max-Emanuel-Straße wurden zusätzlich zu dem Schild "Vorfahrt geändert" auf der Fahrbahn weiße Balken aufgemalt. Schubert: "Das ist eine Haltlinie, die nur bei Stopp-Schildern erlaubt ist." Am Riedener Weg, Ecke Lüderitzstraße suggeriere das Schild "Vorfahrt geändert", dass dort rechts vor links gelte. Das sei nicht der Fall. Die Lüderitzstraße ist verkehrsberuhigt und hat einen abgesenkten Bordstein. Heißt: Die Autofahrer aus der Lüderitzstraße müssen warten.

Der grundsätzlichen Vorfahrtsregel in Tempo-30-Zonen widerspricht wiederum die Ecke Otto-Gaßner-/Ferdinand-Maria-Straße. Dort gilt nicht rechts vor links, sondern die Verkehrsteilnehmer aus der Otto-Gaßner-Straße müssen stehen bleiben. Außerdem moniert Schubert, dass die Durchfahrtsverbotschilder - das Verkehrszeichen Nr. 250 mit dem roten Rand und dem weißen Innenkreis, das "Durchfahrt verboten" bedeutet - auch an der Hanfelder Straße bei den Einfahrten Waldschmidtstraße, Schießstättstraße und Max-Emanuel-Straße zu spät erkennbar seien.

Eine Fahrradstraße ohne Radfahrer. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Und dann fragt Schubert noch, wieso in einer Anlieger-Frei-Zone noch zusätzlich Schilder "Anlieger frei" stehen müssen wie an der Ecke Schulstraße/Ferdinand-Maria-Straße.

Alle Mängel, die Schubert aufgelistet hat, wurden von der Starnberger Polizei überprüft und in einer Stellungnahme an die Regierung von Oberbayern als zutreffend erklärt, sagt Hauptkommissar Peter Madjr, Verkehrsexperte der Starnberger Inspektion. Eine Antwort steht noch aus. "Da wird noch geprüft." Ob sich die Verkehrsteilnehmer an das Durchfahrverbot halten, werde nicht kontrolliert. "Wie auch?", fragt Madjr. Jeder könne theoretisch das "Anliegen" haben, zum Gericht, zur Schule oder zum Kindergarten zu fahren oder jemanden zu besuchen. Im Übrigen hält er die ganze Verbotszone für nicht richtig. "Straßen sind von Steuergeldern gebaut und für alle da", meint Madjr.

Anliegerin Petra Rettstadt hat mit der großen Anlieger-frei-Zone nur schlechte Erfahrungen gemacht. Früher seien die Autofahrer, die nicht am Hanfelder Berg im Stau stehen wollten und sich auskennen, links in die Schießstätt- oder Max-Emanuel-Straße abgebogen. Die Bozener und Heinrich-Wieland-Straße dagegen sind schon lange Anlieger-frei-Straßen. Das Durchfahrtsverbot dort sei auch größtenteils eingehalten worden. Doch seit das ganze Quartier ausgewiesen ist, "fährt auch bei uns jeder durch", sagt Rettstadt. Denn jetzt habe jeder, der zum Gericht oder zur Schule will, die Berechtigung, auch durch die Bozener und Heinrich-Wieland-Straße zu fahren.

An der Kreuzung Riedener Weg/Himbselstraße herrscht Verwirrung. Vier Autos stehen da, einer will rechts abbiegen, zwei links, einer geradeaus fahren. Wer darf zuerst? Die Fahrer verständigen sich mit Handzeichen, obwohl die Rechts-vor-links-Regelung eigentlich klar sein sollte. Für Fahrlehrer und Fahrschüler war das Quartier zwischen Hanfelder Straße und Bahnlinie ein gutes Trainingspflaster. Aber Thomas Schubert und seine Kollegen dürfen nicht mehr rein in die Verbotszone. Jetzt fahren sie nach Percha.

© SZ vom 07.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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