Seenotrettung in Tutzing:Dort helfen, wo keiner hinsieht

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Bei der Auftaktveranstaltung "Tutzing hilft im Mittelmeer" im Tutzinger Roncallihaus sind (v.li.) Claudia Steinke, Josephine Liebl, Martina Chamrad, Maria Möller, Claus-Peter Reisch dabei. (Foto: Nila Thiel)

Die Spendenkampagne "Tutzing hilft im Mittelmeer" geht in die dritte Runde. Bei der Auftaktveranstaltung werden die Hilfsorganisationen vorgestellt, für die sich der Ökumenische Unterstützerkreis Tutzing einsetzt.

Von Nikolai Vack, Tutzing

Auf einmal wird es laut im Roncallihaus. Beifall ertönt aus dem Publikum. "Wir müssen versuchen, von unserem Wohlstand etwas abzugeben und die Menschen in ihrem Herzen anzusprechen". Mit diesen Worten appelliert Tutzings Bürgermeisterin Marlene Greinwald (FW) an die Hilfsbereitschaft des Publikums.

Warmes Licht, Holzvertäfelungen, orange Vorhänge. Das Roncallihaus der Tutzinger St. Joseph-Kirche, in dem die Auftaktveranstaltung stattfindet, strahlt eine freundliche Atmosphäre aus. Doch auf der Agenda steht ein ernstes Thema. Seit 2015 sind 25 000 Menschen auf der Flucht über das Mittelmeer ums Leben gekommen. Allein in diesem Jahr sind es 1800. Und das sind nur die bekannten Todesfälle.

Während die öffentliche Empörung derzeit bei den Themen Ukraine-Krieg und Inflation liegt, versucht der Ökumenische Unterstützerkreis Tutzing, den Blick auf diese Zahlen zu lenken. In den vergangenen zwei Jahren ist es ihm gelungen, eine Spendensumme von 130 000 Euro einzusammeln. Nun soll es weitergehen, in die dritte Runde.

Weil Tutzing in der Vergangenheit eine besondere Bereitschaft zur Unterstützung von Geflüchteten gezeigt hat, gilt die Gemeinde als Leuchtturm in der Asylszene. Im Jahr 2020 ist sie als einzige im Landkreis dem Bündnis "Seebrücke" beigetreten. Damit erklärt sie sich zum "Sicheren Hafen" für Geflüchtete. Unter Pfarrer Peter Brummer fanden hier 49 Menschen Kirchenasyl, was den Ort bis in die New York Times brachte. "Der Helferkreis ist vielfältig vernetzt", sagt Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Das versetze Tutzing in eine gute Ausgangslage, sich über das Lokale hinaus einzusetzen.

Der ehemalige Lifeline-Kapitän und verurteilte Seenotretter hat eine besondere Bindung zu Tutzing

Treiber der besonderen Stellung Tutzings ist ein Mann, der ebenfalls zum Auftakt gekommen ist: Claus-Peter Reisch. Der ehemalige Lifeline-Kapitän und verurteilte Seenotretter hat eine besondere Bindung zu Tutzing. Erstmals in Berührung kam er mit dem Ort, als ihn Pfarrer Brummer im Jahr 2018 davon überzeugen konnte, in Tutzing einen Vortrag zu halten. Aus einem Vortrag wurden mehrere, bis zuletzt die Spendenkampagne gemeinsam mit den Tutzinger Helfern ins Leben gerufen wurde. Vor Kurzem war Reisch noch Teil der Spendenjury. Nun ist er ausgetreten, weil er mit seinem neuen Hilfsprojekt selbst um Spendengelder wirbt.

Der Seenotretter hat auf sieben Missionen hautnah miterleben können, wie lebensgefährlich eine Flucht über das Mittelmeer ist. "Man muss schauen, dass sich die Menschen nicht auf den Weg machen müssen", sagt er. Nun setzt er sich für Hilfsbedürftige auf dem Festland ein. Sein neues Hilfsprojekt "Back To School" unterstützt Kinder syrischer Familien, die in der Türkei Zuflucht gefunden haben. Ziel des Projekts ist es, den Kindern eine schulische Ausbildung zu ermöglichen. Derzeit sammelt Reisch Spenden für einen ausgedienten Reisebus, der zu einem Klassenzimmer mit Rollen umfunktioniert werden soll - einem fahrenden Klassenzimmer.

Neben Reisch sind auch Vertreterinnen und Vertreter der Seenotrettungsorganisation "Sea-Eye" und "Medical Volunteers" gekommen. Letztere setzt sich für die medizinische Versorgung Geflüchteter an den EU-Außengrenzen ein. Was geschieht an den Grenzen Europas? Dieser Frage widmet sich der Vortrag von Josephine Liebl der Organisation ECRE. Eine ihrer Aufgaben ist es, rechtswidrige Praktiken der Mitgliedstaaten zu beleuchten. Die Bestandsaufnahme ist ernüchternd. Illegale Pushbacks und informelle Rückübernahmen gehören zur harten Realität im Umgang mit Geflüchteten, so Josephine Liebl.

Die Spendenbeträge, die bei den Tutzinger Helfern eingehen, würden dort eingesetzt, wo am meisten Bedarf herrscht, betont Claudia Steinke vom Unterstützerkreis. Für eigene Verwaltungskosten käme dieser selbst auf. "Die gesammelten Spenden kommen zu 100 Prozent bei den Helfern vor Ort an". Mehr Informationen unter www.tutzing-hilft.de.

"Wir müssen mithelfen", sagt Bürgermeisterin Greinwald. Nicht, weil man dazu gezwungen sei. "Sondern, weil wir es können."

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