Tutzing:Der Kampf nach dem Kampf

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Daniela Skrzypczak hat aktive und ehemalige Soldaten der Bundeswehr porträtiert, um ihre Geschichten zu erzählen. Die Bilder werden nun in der Ausstellung "Gesichter des Lebens" gezeigt. (Foto: Daniela Skrzypczak)

Als Bundeswehrsoldat in Afghanistan wurde Dirk Meyer-Schumann traumatisiert. Seit mehr als 20 Jahren lebt er mit Flashbacks. Doch ein Australian Shepherd ist stets an seiner Seite.

Von Fabiane Houben, Tutzing

Als ein Bus des Bundeswehr-Konvois auf dem Weg nach Kabul gesprengt wurde, war Dirk Meyer-Schumann einer der ersten Helfer vor Ort. Ihm bot sich ein schrecklicher Anblick. Der völlig zerstörte Bus stand abseits der Straße auf einem Feld. Um ihn herum lagen tote und schwer verletzte Soldaten. Er versorgte die verwundeten Kameraden und half dabei, die Toten zu bergen. Darunter waren zwei seiner Freunde. Ein Einsatz, der Spuren hinterließ. "Darauf wurden wir weder körperlich noch mental vorbereitet", sagt er.

Ein Abend in der Akademie für Politische Bildung in Tutzing. Ganz rechts im Halbkreis sitzt Soldat Dirk Meyer-Schumann. Ein 47-Jähriger mit breiten Schultern und ernstem Gesichtsausdruck. Neben ihm sind seine Partnerin und sein Assistenzhund Lucy, dazu Vertreter der Bundeswehr. Der Straubinger erzählt seine Geschichte. Sie handelt von seinem Einsatz vor 21 Jahren in Afghanistan, der schwerwiegende Spuren hinterlassen hat. Besonders an seiner Seele.

Es ist ein bewegender Abend, an dem es um die Schattenseite von Einsätzen geht. Besonders um dessen Nachwirkungen. Viele Soldaten kehren mit schwerwiegenden Traumata aus dem Krieg zurück. Sowohl körperlich als auch psychisch. Ein Thema, das die Fotografin Daniela Skrzypczak künstlerisch umgesetzt hat. Im Foyer des Auditoriums hängen Porträts von Soldaten: teils leere Augen und ernste Gesichtszüge, aber auch lachende und hoffnungsvolle Gesichter.

"Gesichter des Lebens" heißt die Ausstellung, die hier seit Mitte März gezeigt wird. Etwa 140 Soldaten hat Skrzypczak deutschlandweit porträtiert. "Ich will die Menschen und ihre Geschichten sichtbar machen", sagt sie. Diese sollen auch am Tutzinger Kulturabend lebendig werden.

Dirk Meyer-Schumann (rechts) war als Bundeswehrsoldat in Afghanistan. Heute hat er Flashbacks von den traumatischen Erfahrungen. (Foto: Akademie für Politische Bildung)
Hadernd ließ sich Meyer-Schumann von der Fotografin Daniela Skrzypczak porträtieren. (Foto: Akademie für Politische Bildung)
Im Rahmen der Tutzinger Kulturnacht stellte die Fotografin Daniela Skrzypczak ihre 'Gesichter des Lebens' in der Politischen Akademie vor. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Meyer-Schumann ist einer von zwei Soldaten, die in die Akademie gekommen sind, um ihre Geschichte zu erzählen. Ein Thema, das interessiert in einer Zeit, in der der Krieg wieder näher rückt in Europa. Im Publikum sitzen knapp 100 Menschen und hören mucksmäuschenstill seiner Geschichte zu. Wie er 1997 zur Bundeswehr ging, in der Hoffnung, etwas für sein Land zu bewegen. Wie er 2003 zum ersten Mal nach Afghanistan fuhr. Als er Berufssoldat war, "mit Leib und Seele", wie er sagt.

Und wie er erkrankte. Zurück in Deutschland wurde er von seiner Frau am Flughafen abgeholt. Sie kennt ihren Mann schon lange, bevor er zur Bundeswehr gegangen war. Sie sah ihm in die Augen und wusste, dass etwas anders ist. "Irgendwas ist passiert", berichtet sie mit zitternder Stimme. "Es gibt ein Leben vor und es gibt ein Leben nach dem Einsatz. Und das danach ist ein anderes."

Der Anschlag veränderte das Leben des Berufssoldaten und das seiner Familie nachhaltig. Als er heimkehrte, hatte er Albträume, brach im Badezimmer zusammen und fing an, tote Menschen im Spiegel zu sehen. Auch 20 Jahre nach dem Anschlag leidet Dirk Meyer-Schumann unter einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Darunter versteht man eine Beeinträchtigung, die nach einem traumatischen Ereignis auftritt und sich beispielsweise durch Albträume, Flashbacks und Schlafstörungen äußert.

Zum Auftakt der Ausstellung sind neben Meyer-Schumann auch der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe (2.v.r.). und Carlo Masala von der Bundeswehruniversität München gekommen (3. v.l.). (Foto: Franz Xaver Fuchs)
Knapp 100 Menschen hören der Leidensgeschichte von Dirk Meyer-Schumann in der Akademie zu. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Neben Dirk Meyer-Schumann liegt seine Assistenzhündin, ein Australian Shepherd. "Lucy ist der Grund, warum ich noch hier sitze", sagt er. Sie habe ihm ein Stück Lebensqualität zurückgegeben. Die Assistenzhündin hilft Dirk, seinen Alltag zu bewältigen und gibt ihm ein Gefühl der Sicherheit. Wenn er von Albträumen geplagt wird, springt Lucy in sein Bett oder knipst mit ihrer Nase den Lichtschalter an, um ihn aufzuwecken. Wenn Dirk draußen unterwegs ist und etwa eine Sirene vom Krankenwagen ertönt, können dadurch Flashbacks, also Erinnerungsblitze, ausgelöst werden. Auch hier versucht Lucy, ihn aus der Situation herauszuholen und abzulenken, indem sie ihn anspringt, um seine Füße herumtänzelt oder laut bellt.

24 000 Euro hat sie gekostet, doch von der Bundeswehr gab es keinen Cent. "Leider", sagt Meyer-Schumann. Die Hälfte wurde durch die Oberst Schöttler Versehrten-Stiftung, die Soldaten und Veteranen Stiftung und Spenden aus dem Kameradenkreis übernommen. Die andere Hälfte, also 12 000 Euro, hat die Familie Meyer-Schumann selbst gezahlt - und das, obwohl der Hund mehrfach durch Bundeswehr-Ärzte als therapeutisch zielgerichtetes Hilfsmittel anerkannt worden sei.

Psychische Erkrankungen waren eine lange Zeit über kein Thema in der Bundeswehr. Sie waren schlicht nicht vereinbar mit dem Selbstverständnis eines Mannes im Einsatz. "Ein Soldat ist ein Soldat", sagt Meyer-Schumann. Einer, der ja nicht vor einem Arzt zusammenbrechen und sich über die Folgen eines Einsatzes beklagen würde. "Ich wünschte, ich hätte es gemacht", sagt er heute.

Lucy ist ein Australian Shepherd - und Dirk Meyer-Schumanns anerkannter Assistenzhund. Zahlen tut die Bundeswehr Lucy nicht: Die Kosten von 24 000 Euro wurden zur Hälfte durch Stiftungen und Spenden aus dem Kameradenkreis übernommen. Die andere Hälfte - also 12 000 Euro - hat Meyer-Schumann selbst gezahlt. (Foto: privat)

Neben Meyer-Schumann sitzt der ehemalige Wehrbeauftragte Reinhold Robbe. Ein hochgewachsener Mann mit transparenter Brille. "PTBS ist eine psychische Erkrankung, die behandelt werden muss", sagt er. Auch er weiß, was ein Einsatz mit dem Seelenleben machen kann. Sein Vater war während des Zweiten Weltkrieges schwer verwundet worden. Als er nach Hause kam, wurde niemals darüber gesprochen. "Man wollte natürlich gerne vergessen, was im Krieg vorgefallen war", erklärt er. Nach der Pensionierung bekam sein Vater Albträume der schlimmsten Art und musste sich in psychologische Behandlung begeben. Diese kam jedoch viele Jahre zu spät. Letztendlich starb er an den Auswirkungen der Erkrankung.

Warum hat man die Ex-Soldaten so lange sich selbst überlassen? Robbe betont, dass es der Bundeswehr im Gegensatz zu den USA nicht gelungen sei, diese Themen früh genug zu übernehmen und eine entsprechende medizinische Infrastruktur aufzubauen. "Man verschloss die Augen davor", so Robbe. Seitdem habe sich jedoch viel in der Bundeswehr getan. Heute verfügt die Bundeswehr über ein sogenanntes "Netz der Hilfe". Dahinter stecken nicht nur eine medizinische Versorgung, sondern auch viele therapeutische Angebote. Er betont gleichzeitig, dass es weiterhin Verbesserungsbedarf gibt. "Wir lassen die Familien zu sehr alleine", sagt er.

Durch den Krieg in der Ukraine setzt die Gesellschaft sich nun vermehrt mit solchen Themen auseinander. Da die Menschen sich jetzt viel leichter damit identifizieren können, wenn der Krieg quasi vor der Haustür stattfindet. "Als ich in Afghanistan war, konnte sich damit niemand identifizieren", so Dirk Meyer-Schumann.

Ein paar Meter entfernt im Foyer hängen an diesem Abend Porträts von Menschen wie ihm. Aktive und ehemalige deutsche Soldatinnen und Soldaten, die teilweise bei der Ausübung ihres Dienstes verwundet wurden.

Dirk Meyer-Schumann ist zwar noch bei der Bundeswehr, wird aber wegen seiner Gesundheitszustandes bald entlassen. Er hat grundsätzlich gemischte Gefühle, blickt aber positiv in die Zukunft. Was sie Versorgung von im Einsatz verletzten Soldaten angehe, sei die Bundeswehr auf einem guten Weg. Doch sieht er noch Luft nach oben. Trauma, Therapie, Hilfen - "wir müssen diese Themen noch sichtbarer machen", sagt er.

Demnächst beginnt sein neues Leben außerhalb der Bundeswehr. Er wolle sich dann im sozialen Bereich engagieren - und als Genesungshelfer andere Menschen unterstützen.

Die Ausstellung "Gesichter des Lebens" ist noch bis Ende April 2024 im Foyer Auditorium der Akademie für Politische Bildung zu sehen, Montag bis Donnerstag von 9 bis 12 Uhr und von 13 bis 16 Uhr sowie am Freitag von 9 bis 12 Uhr. Der Eintritt ist frei.

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