Musikgeschichte :Wo Brahms und Wagner ihre Sommer am See verbrachten

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Eine Ausstellung in Tutzing zeigt, welche namhaften Komponisten zur Sommerfrische ins Fünfseenland kamen oder sich am Ufer ansiedelten.

Von Sabine Bader, Tutzing

Kaum ein bayerisches Gewässer zieht Komponisten so magisch an, wie der Starnberger See mit seinem inspirierenden Farbenspiel. Die einen verbringen hier ihre Sommerfrische, für die anderen wird der See zum Lebensmittelpunkt - kreativ sind sie hier alle.

Der Musikwissenschaftler Christian Lehmann stammt auch vom Starnberger See. In Berg ist er aufgewachsen, in Söcking lebt er heute mit seiner Familie. Er lehrt Musikwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität und weiß um die Anziehungskraft des Sees. Gerade deshalb macht er ihn zu einem seiner Uniprojekte und untersucht 2019 seine Musikgeschichte gemeinsam mit 13 Studenten. An Ort und Stelle führen die Studierenden Interviews, recherchieren in Bibliotheken und Archiven. So entsteht noch im selben Jahr eine Ausstellung im Seminarhaus Buchenried in Leoni. Weil ihn das Thema nicht loslässt, recherchiert Lehmann im Anschluss daran weiter und veröffentlicht 2020 eine Sammlung von mehr als 20 Komponisten in dem Buch: "Blauer Himmel, blaue Wogen - ein Musikgeschichtlicher Spaziergang um den See". Im Ortsmuseum Tutzing zeigt er jetzt eine neue Konzeption seiner Ausstellung, erweitert um etliche sehenswerte Exponate.

Bei so vielen Persönlichkeiten rund um den Starnberger See erfordert es einiges an Erklärung. (Foto: Nila Thiel)

Da ist zum Beispiel Johannes Brahms (1833-1897). Ihn beherbergt die Gemeinde Tutzing im Sommer 1873. Der Komponist logiert im Gasthaus Amtmann. Gegen das Essen dort gibt es nichts einzuwenden, gegen das dortige Klavier hingegen schon: Unstimmbar und miserabel sei es, heißt es in historischen Quellen. Dennoch zahlt Brahms artig sechs Gulden im Monat für das schlechte Stück. Einem Freund eröffnet er den wahren Grund: "Damit niemand darauf spielt". Wer nun glaubt, Brahms habe in den Monaten in Tutzing nicht komponiert, der irrt gewaltig. Im Gegenteil, er war fleißig: So vollendet er zwei Streichquartette, zahlreiche Lieder und Gesänge sowie die "Variationen über ein Thema von Joseph Haydn op. 56". Als Instrument kann Brahms dabei auf das Klavier von seinen Freunden Therese (1845-1921) und Heinrich (1845-1900) Vogl in deren Pavillon am See, scherzhaft "Voglhäuschen" genannt, zurückgreifen. Das Sängerehepaar Vogl ist auch auf der Bühne ein Traumpaar - vor allem in Opern von Richard Wagner (1813-1883) brillieren sie. Der frühere Pavillon der Vogls steht schon seit vielen Jahren leer und ist augenscheinlich schon länger nicht renoviert worden. Das Gebäude, das unter Denkmalsschutz steht, befindet sich in Privatbesitz. Es sei ein Wahrzeichen Tutzings findet Lehmann, Jahrgang 1966. "Ich fände es schön, wenn der Brahms-Pavillon eines Tages zugänglich wird und er vor allem nicht verfällt", sagt der Musikwissenschaftler. In der Ausstellung ist nicht nur eine gebundene Sammlung aus Programmzetteln des Hof- und Nationaltheaters aus dem früheren Besitz des Sängerpaars zu sehen, es ist auch ein handgeschriebener "Sänger-Spruch" von Heinrich Vogl aus den Beständen des Kaiserin Elisabeth Museums in Possenhofen zu bestaunen, den dieser für den Gesangsverein Tutzinger Liederkranz komponiert hat.

Der Musikwissenschaftler Christian Lehmann, hier vor einem Plakat vom Brahms-Pavillon, präsentiert seine Ausstellung über die Komponisten am Starnberger See im Tutzinger Ortsmuseum (Foto: Nila Thiel)

Ebenfalls in den Vitrinen zu sehen ist eine Komposition von Herzog Max in Bayern (1808-1888), die Franz Graf von Pocci, der Allround-Künstler von der anderen Seeseite aus Ammerland, illustriert hat. Auch Pocci (1807-1876) komponiert in jungen Jahren Klavierstücke und zahlreiche Lieder im Volkston.

Herzog Max wendet sich ebenfalls den volkstümlichen Kompositionen zu. Er feiert gern, gilt als Lebemann, der den Sommer mit seiner Familie stets auf dem Schloss Possenhofen verbringt. Ein Familienmensch ist der Herzog aber nicht, obwohl er mit seiner Frau Ludovika zehn Kinder hat. Eine der Töchter ist Elisabeth, Sisi genannt, wird später Kaiserin von Österreich. Herzog Max ist den schönen Künsten ebenso zugetan, wie den schönen Frauen. Während Ludovika den Sommer mit den Kindern in Possenhofen verbringt, begibt sich der Herzog auf Reisen und lässt sich dabei von etlichen Künstlerfreunden begleiten. Einer von ihnen ist Johann Petzmayer. Weil der Herzog dessen virtuoses Zitherspiel so liebt, ernennt er ihn zum Kammervirtuosen und stellt ihn als Privatlehrer an. Er ist fasziniert von dem "Lumpeninstrument", wie die Zither despektierlich genannt wird, und will es unbedingt erlernen. Ohnehin ist der Herzog ein Freund der bayerischen Geselligkeit und spielt fortan gern inkognito in Wirtshäusern auf. Er komponiert auch Walzer, Märsche, Polkas und Landler. Mehr als 60 Stücke stammen aus seiner Feder. Als "Zithermaxl" geht er in die Geschichte der Volksmusik ein. Eine handkolorierte Lithografie von Schlögl aus dem Jahr 1854 zeigt ihn beim Zitherspiel im Boot mit Kaiser Franz Joseph und Prinzessin Elisabeth auf dem Starnberger See. Neben Herzog Max in Bayern findet auch Pocci und sein Werk Eingang in die Ausstellung.

Gezeigt wird auch eine Lithografie mit Herzog Max in Bayern und ein "Sänger-Spruch". Repro: Nila Thiel (Foto: Nila Thiel)

Der Name des Berger Ortsteils Leoni geht auf den Sänger Giuseppe Leoni (um 1770-1834) zurück. Über ihn hat Lehmann Insiderwissen parat. Leoni sei eigentlich nur Chorsänger gewesen, erzählt er. In der Literatur werde er aber gern als Kammersänger oder Hofopernsänger tituliert. Lehmann kommt nach Recherchen zu dem Schluss, dass Leoni dies selbst forciert hat. "Er neigte zur Selbstüberschätzung", sagt er zur SZ. Und habe sich selbst auch schon mal einen Adelstitel angedichtet. Nach seinem Abschied von der Bühne eröffnet Leoni 1825 in Assenbuch ein Gasthaus in dem sich schon bald die gesamte Kunstszene tummelt. Darum zählt Leoni zu den Wegbereitern des Fremdenverkehrs am See.

Doch auch noch viele andere Komponisten tummeln sich im 18. und 19. Jahrhundert am See - darunter Carl Maria von Weber, Richard Wagner, Arnold Schönberg und Alexander László. Auch von ihnen ist in dieser kleinen, liebevoll konzipierten Ausstellung die Rede.

© SZ vom 25.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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