SZ-Serie: Wortschatz, Folge 5:Mit Fantasie und Disziplin

Lesezeit: 4 min

Sylvia Englert alias Katja Brandis schreibt an jedem Werkstag in Olching mindestens sechs Stunden lang an ihren Büchern über Gestaltwandler, Eisdrachen und Stalking-Opfer. Mittlerweile ist die 48-Jährige zur Bestsellerautorin reüssiert

Von Ingrid Hügenell, Olching

Katja Brandis sitzt am Schreibtisch in ihrem Reihenhaus in Olching, einen Kopfhörer auf den blonden Locken. Ihre Finger fliegen über die Tasten. Die Schriftstellerin ist im Tunnel, schreibt wie im Rausch. "Ich tauche völlig ein, ich bin dann in Island, oder besser Khyona, oder im Yellowstone", erzählt sie. Dabei hört sie passende Musik, "Walk on Water" von Thirty Seconds to Mars ist so ein Stück, hat den passenden Bildschirmhintergrund eingestellt. Kleine Tierfiguren neben dem Computer helfen ihr, die richtige Stimmung zu finden.

Von 7.30 bis etwa 13.30 Uhr schreibt die 48-jährige Autorin so an jedem Werktag an ihren Büchern - manchmal auch von fün Uhr an, wenn ihr noch vor dem Aufstehen eine zündende Idee kommt. Etwa fünf Seiten entstehen täglich. Das hat sich über die Jahre auf mehr als 50 Bücher summiert. Katja Brandis heißt im richtigen Leben Sylvia Englert, ein weiteres Pseudonym ist Siri Lindberg. Unter allen drei Namen veröffentlicht sie. Am bekanntesten ist sie als Katja Brandis, Autorin von Fantasybüchern für Kinder und Jugendliche sowie Krimis beziehungsweise Thriller für junge Erwachsene. Sehr stolz ist Sylvia Englert, dass der Verlag Droemer-Knaur 2018 unter ihrem echten Namen eine Fantasy-Geschichte für Erwachsene veröffentlicht hat: "Das dunkle Wort".

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Mit der Woodwalkers-Reihe für Kinder ab zehn Jahren, die in der Nähe des Yellowstone-Nationalparks in den USA spielt, ist Brandis in den Bestseller-Listen. 350 000 Bände der ersten fünf Teile seien bisher verkauft worden, sagt sie. Der sechste und letzte erscheint am 14. Januar. Die nächste Serie entsteht schon, sie ist eine Fortsetzung der Woodwalkers mit dem Namen Seawalkers. Deren erster Band erscheint im Juni. Beide Reihen erzählen von Gestaltwandlern. Hauptperson der Woodwalkers ist Carag, ein Pumajunge, mal Mensch, mal Berglöwe. Bei den Seawalkers spielt Tiago die Hauptrolle, seine zweite Gestalt ist ein Tigerhai - und er ist ein Fan der Band Thirty Seconds to Mars.

Bevor sie sich zum Schreiben ganz in das Buch begibt, recherchiert Englert viel. Sie liest, was an Fachliteratur zu finden ist, vor allem aber reist sie an die Schauplätze ihrer Bücher, "wenn es irgendwie geht". 2014 zum Beispiel ist sie auf einem mittelgroßen Forschungsschiff in die Antarktis gefahren, rund um das berüchtigte Kap Hoorn, und das, obwohl sie leicht seekrank wird. Sie hat Praktika bei einem Falkner und einer Delfinstation absolviert. Ein bis drei Monate recherchiert sie für ein Buch, drei Monate schreibt sie daran. Wenn sie in ein Thema eintauche, denke sie ein halbes Jahr an nichts anderes, sagt sie. Dass Englert genau recherchiert, merkt man den Büchern an. Was sie über Verhalten oder Lebensweise ihrer tierischen Protagonisten schreibt, stimmt, ebenso wie die Fakten von Stalking und Opferschutzprogrammen in dem Thriller: "Und keiner wird dich kennen", für Leser ab 14, der zum Teil in Olching spielt. Spannend sind die Geschichten trotzdem - oder vielleicht genau deswegen. "Es kommt auf die Details an", sagt die Autorin. Deshalb hat sie von ihren Schauplätzen immer Landkarten und Stadtpläne neben dem PC liegen, auch von den fiktiven.

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Bei der Entwicklung der Figuren helfen die Praktikanten, die sie dreimal im Jahr für eine Woche aufnimmt. In manchen Figuren steckt viel von Sylvia Englert selbst, etwa in Leon, der schüchternen Hauptfigur aus "Ruf der Tiefe", den Brandis zusammen mit Hans-Peter Ziemek geschrieben hat. Stella hingegen, eine Nebenfigur aus: "Und keiner wird dich kennen", habe sie am Reisbrett entwickelt. Für Stella habe sie Kinder am Gymnasium Olching gefragt, wie das Mädchen sein sollte. "Sie ist die beste Freundin, die man gerne hätte."

Geschrieben hat Englert schon als Kind. Bis sie von ihren Büchern leben konnte, hat sie nach dem Studium der Amerikanistik, Germanistik und Anglistik als Journalistin gearbeitet. Dass ihre Woodwalkers-Reihe so erfolgreich sei, liege daran, dass sie "einen Nerv getroffen habe". Die Gestaltwandler seien schon lange in ihrem Kopf gewesen.

Auf Wunsch von Fans kommt im sechsten Woodwalkers-Band ein schwules Paar vor. Bei den Seawalkers hat eine wichtige Figur ihr Geschlecht gewechselt. Wichtig ist Englert die Zeit für die Familie, die meist mitkommt auf die Recherchereisen. Wenn ihr Sohn Robin aus der Schule kommt, "hat er Prio", sagt sie. Der Zwölfjährige sei als "Junior-Lektor" aber auch einer ihrer wichtigsten Mitarbeiter. Jeden Tag liest sie ihm das neueste Kapitel vor. Dabei merkt sie, ob er sich langweilt oder an den richtigen Stellen lacht. Robin gebe ihr konstruktive Kritik. "Er hat (fast) immer recht." Dass sie mit ihren Büchern nun ziemlich viel Geld verdient, habe sie und ihr Leben nicht verändert, sagt Englert. Allüren hat die Bestsellerautorin nicht, auch wenn sie mittlerweile sehr gut verdient: "Ich bring halt trotzdem den Müll raus." Sie spendet viel, vor allem an Naturschutzverbände.

Ihr Arbeitszimmer hat nach wie vor Kinderzimmergröße. Außer dem Schreibtisch stehen Regale darin, eines mit ihren eigenen Büchern, eines mit all der Fachliteratur, die sie gerade zu Recherchezwecken liest, und eines mit Autogrammkarten und allen möglichen Give-aways wie den Ketten mit Anhängern, auf die ihre jugendlichen Fans besonders scharf sind. Vor den Büchern tummeln sich Delfine, Haie, Adler, Wölfe und andere Tiere aus Kunststoff.

An einer Wand steht ein Bett, aber weniger zum Schlafen als vielmehr zum Lesen. Daneben steht eine Tüte bereit mit Utensilien, unter anderem einem Tuch mit Leopardenmuster. In einer Kiste sind Autogrammkarten, ein Mikrofon, Beamer und Verstärker. Englert liest zwei Tage darauf in einer Grundschule und hat schon alles bereit gelegt, was sie mitnehmen muss. Zum Autorendasein gehört sehr viel mehr als das Schreiben spannender Geschichten.

Das riesige Pensum schafft sie mit großer Disziplin. Ihren Erfolg verdankt sie nicht nur den guten Ideen, sondern auch systematischer Arbeit. Nachmittags erledigt sie den "Kleinkram", korrespondiert mit Verlagen, beantwortet Fanpost. Für jedes Projekt gibt es einen eigenen Ordner und ein Hängeregister, im Keller befindet sich ein Archiv. Und sie kennt ihre Zielgruppe: Englert macht viele Lesungen, etwa 70 pro Jahr. Sie beantwortet die Post ihrer Leser selbst und ist über ihre Homepage in ständigem Austausch mit ihren Fans.

© SZ vom 03.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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