Störerhaftung:Ein Gautinger schreibt Rechtsgeschichte

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Der Europäische Gerichtshof gibt Tobias McFadden mit seiner Klage in weiten Teilen recht

Von Michael Berzl, Gauting

Wenn im Sitzungssaal des Gautinger Rathauses wieder einmal die Lautsprecheranlage brummt oder der Beamer ein enttäuschendes "no signal" auf die Leinwand projiziert, dann richten sich hoffnungsvolle Blicke auf Tobias McFadden. Der 42-jährige Gemeinderat der Piraten gilt als einer, der sich da auskennt. Und oft gelingt es dem Veranstaltungstechniker mit wenigen Handgriffen, das Problem mit Ton und Bild zu beheben. Die Sache mit der Störerhaftung erweist sich als deutlich schwieriger. Seit mehr als sechs Jahren dauerte ein Rechtsstreit an, den der Gautinger angezettelt hatte. Mit einer Retourkutsche gegen Abmahnanwälte hatte McFadden ein Verfahren ins Rollen gebracht, das nun vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) an diesem Donnerstag entschieden wurde - und zwar weitgehend im Sinne des Gautingers. Im Kern ging es darum, wer für Urheberrechtsverstöße haftet, wenn dafür ein offener Wlan-Zugang ins Internet genutzt wird. Laut EuGH nicht mehr der Betreiber des Hotspots.

Angefangen hatte alles mit einem Musikstück der Band "Wir sind Helden", das über eine drahtlose Verbindung zu McFaddens Internetanschluss zum Runtergeladen angeboten wurde. Er selbst war es nicht, aber der Datentransfer lief über die IP-Adresse seines Computers, und darauf kam es in dem Fall nach geltender Rechtslage an. Unternehmen wie Telekom oder Vodafone hingegen erhielten ein sogenanntes Providerprivileg und können nicht belangt werden. An den Gautinger jedoch schickte eine Kanzlei eine Abmahnung und forderte 800 Euro. Oft funktioniert das, viele zahlen - der Gautinger "Pirat" aber wehrte sich: Er klagte selbst, und so geht dieser Fall seit Jahren durch die Gerichtsinstanzen. Teilerfolge kann McFadden bereits für sich verbuchen. So hat sich EuGH-Generalanwalt Maciej Szpunar in einer Stellungnahme weitestgehend in seinem Sinn geäußert. Nach dem im März veröffentlichten Gutachten sollten Anbieter von Wlans in Bars oder Hotels beispielsweise nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ihre Kunden illegal Daten herunterladen. Außerdem hat der Bundestag im Juni mit einem neuen Telemediengesetz das Ende der sogenannten Störerhaftung beschlossen. Allerdings sei es stellenweise "immer noch sehr weich formuliert", kritisierte McFadden; entscheidende Aussagen fänden sich nur in der Begründung und nicht im Gesetzestext selbst. So hängt immer noch viel von der Auslegung des Gerichts ab.

Das Gesetz in seiner neuen Fassung schützt zwar private Wlan-Anbieter vor Schadenersatzforderungen, Unterlassungsansprüche bleiben aber unangetastet. Und gerade diese Ansprüche bilden die Grundlage für das lukrative Geschäft der Abmahnanwälte. "Die durchforsten systematisch Tauschbörsen und schicken dann automatisiert ihre Briefe raus, um zu kassieren", beschreibt McFadden das Geschäftsmodell, dem er gerne ein Ende bereiten würde. Seine Klage und der Urteilsspruch aus Luxemburg haben jetzt einen wichtigen Beitrag geleistet. Ziel sei ein "offenes Wlan ohne Fallstricke" gewesen.

Angesichts der weitreichenden Folgen für Europa, die der Gautinger Gemeinderat mit seiner Hartnäckigkeit ausgelöst hat, war er schon in den Tagen zuvor ein gefragter Gesprächspartner - und ein politischer Leuchtturm seiner arg gerupften Piratenpartei. Kein Wunder also, dass McFadden nicht in München das Urteil erwartete, sondern in Berlin, wo sich an diesem Donnerstag Bundes- und Europapolitiker der Partei zu einer Pressekonferenz einfanden, um das EuGH-Urteil zu kommentieren. "Wir erwarten uns Rechtssicherheit in Europa", sagte der Gautinger vor seiner Abreise in Richtung Bundeshauptstadt. Er hatte zudem beobachtet, dass derzeit gerade Flüchtlinge Opfer von Abmahnanwälten werden. In ihren Heimatländern müssten sie keine Konsequenzen befürchten, wenn sie bestimmte Programme nutzen, um auf ihren Handys Filme anzuschauen, in Deutschland jedoch schon.

"Ich habe manchmal das Gefühl, dass alles, was man in der Politik anfängt, nie zu einem Ende kommt", klagte McFadden häufig angesichts der langen Dauer des Verfahrens. Denn nach dem Urteilsspruch in Luxemburg ist die Sache noch lange nicht ausgestanden. Dann ist erst einmal wieder das Landgericht in München am Zug, das einen Fragenkatalog zu dem Fall wegen der grundlegenden Bedeutung weitergereicht hatte und nun auf neu geschaffener Grundlage über die ursprüngliche Klage McFaddens entscheiden muss (Aktenzeichen 7 O 14719/12). Eine Lautsprecheranlage dagegen richtig einzustellen, geht erheblich schneller, ist allerdings auch lange nicht so folgenreich.

© SZ vom 16.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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