Straßenbauprojekt:Die ersten Tunnelopfer

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Familie Ganslmeier verliert mit dem Bau des Starnberger Straßenbauprojekts ihr Haus. Es wird abgerissen. Ein Ausgleich ist noch nicht in Sicht

Von Astrid Becker, Starnberg

Den 20. Februar 2017 werden Michael Ganslmeier und seine Familie wohl nie vergessen. Gegen Mitternacht hatte sich der Stadtrat an diesem Tag nach jahrzehntelanger Debatte für den Bau des B2-Tunnels entschieden - und damit auch das Schicksal der Starnberger Familie besiegelt. Sie muss mit Enteignung rechnen, weil ihr 624 Quadratmeter großes Grundstück nebst Haus an der Münchner Straße für den Tunnelbau benötigt wird. Doch damit nicht genug: Um einen Ersatz für ihr Eigentum zu finanzieren, werden sie sich wohl auch noch verschulden müssen.

Michael und Hanna Ganslmeier mit ihrem jüngsten Sohn Xaver in ihrem Wohnzimmer. (Foto: Georgine Treybal)

Es ist keine Luxusvilla, um die es hier geht. Die Ganslmeiers leben in einer Doppelhaushälfte direkt an der viel befahrenen Münchner Straße, gleich gegenüber dem Landratsamt. Etwa 30- bis 40 000 Autos rauschen täglich an dem Haus vorbei, das einst, 1949, Ganslmeiers Großvater gebaut hat. Damals, so erzählt sein Enkel heute, seien die Flächen außen herum noch grün gewesen. Heute stehen viele Gewerbebauten in direkter Nachbarschaft der Ganslmeiers. Eine heimelige Wohngegend sieht, objektiv betrachtet, eher anders aus. Trotzdem: Die Familie hängt an ihrem Zuhause, dessen Eigentümer mittlerweile Michael Ganslmeier ist, seine Eltern Adeltraud und Richard Ganslmeier sind Nießbrauchsberechtigte. Das Erdgeschoss ist vermietet, die Ganslmeiers und ihre drei kleinen Kinder bewohnen das Ober- und das Dachgeschoss. Die Zimmer sind nicht besonders groß, aber, angesichts des Verkehrs, relativ ruhig. Im Sommer verlagert die Familie ihr Leben nach draußen in den Garten, der sich hinter dem Haus auf der straßenabgewandten Seite befindet. Ein Salettl gibt es dort und eine Küche, in der Hanna Ganslmeier im Sommer kocht: "Ich liebe dieses Leben hier", sagt sie. "Für mich hat es Charme." Und sie empfindet die Lage als recht zentral - zum Einkaufen kann sie zu Fuß gehen, zum See sind es gerade mal wenige hundert Meter. Auch ihr Mann schätzt die Lage: Er arbeitet als Rechtsanwalt in München und ist von Zuhause aus ganz schnell auf der Autobahn.

An der Tür der Familie Ganslmeier hängt ein Deko-Herz zu Ehren des jüngsten Sohns Xaver. (Foto: Georgine Treybal)

Doch spätestens 2018 wird das Leben der Ganslmeiers dort ein Ende haben, ist vom Staatlichen Bauamt Weilheim zu hören. Dort hofft man, sich mit der Familie gütlich einigen zu können. Das bedeutet: Den Ganslmeiers ein Kaufangebot zu unterbreiten, das diese akzeptieren. Doch das wird nicht einfach werden.

Denn es hatte bereits in der Vergangenheit mehrere Angebote gegeben. Diese stützten sich auf Wertgutachten aus den Jahren 2008 und 2012 - und die wurden aus Sicht der Ganslmeiers alles andere als nach realistischen Kriterien erstellt. So schätzen beide Gutachten entsprechender Schreiben zufolge den Gesamtwert der Immobilien auf knapp 380 000 Euro (2008) beziehungsweise knapp 390 000 Euro (2012) - eine Summe, für die weder in der Stadt Starnberg noch im Landkreis ein in Größe und Alter vergleichbares Doppelhaus zu bekommen wäre. Der Wert sei nur wegen des geplanten Tunnels und der deshalb verhängten Veränderungssperre so gering geschätzt worden, argumentieren die Ganslmeiers. "Dieses Vorhaben ist aber nicht unsere Schuld und schon gar nicht unser Willen."

Michael und Hanna Ganslmeier haben sich ein kuscheliges Zuhause geschaffen. (Foto: Georgine Treybal)

Ferdinand Pfaffinger, der damals noch amtierender Bürgermeister war, hatte der Familie mehrere Ersatzobjekte angeboten. Sie hätten, so sagt er heute, ein "gutes Geschäft gemacht, wenn sie sie angenommen hätten". Darunter waren beispielsweise unbebaute Grundstücke, die laut Pfaffinger später für eine halbe Million Euro veräußert worden seien. Die Ganslmeiers hätten sie nur selbst bebauen müssen. Für die Familie klang das damals anders: "Wir hätten zudem ja auch noch die Differenz zum Wert drauflegen müssen", sagt Hanna Ganslmeier: "Wie hätten wir das alles machen sollen? Mein Mann hatte sich gerade selbständig gemacht, wir bekommen daher nicht mal einen Kredit." Andere Objekte seien bereits bewohnt oder sogar verschimmelt gewesen, erzählen sie weiter. Zudem hätten sie gehofft, dass der Tunnel nie realisiert werde. Nahrung bekam diese Hoffnung vor der Kommunalwahl 2014, bei der sich Ganslmeier selbst bei den Tunnelgegnern, der WPS, engagierte und sogar für sie kandidierte.

Diese Hoffnung dürfte sich endgültig zerschlagen haben. Das Vorhaben werde mit Nachdruck verfolgt, so das Staatliche Bauamt Weilheim. Für Ganslmeiers Haus und das seines Nachbarn, der ebenfalls betroffen ist, soll nun ein neues Kaufangebot auf Basis eines aktuellen Gutachtens erstellt werden. Zudem will sich wohl auch die Stadt nach Ersatzobjekten umsehen: "Familie Ganslmeier hat meine Unterstützung", erklärte Bürgermeisterin Eva John auf Anfrage der SZ. Wie die Geschichte ausgeht, ist also noch offen. Eines allerdings ist klar: Sollte es keine Einigung geben, wird enteignet.

© SZ vom 01.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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