Stadtrat:Bäumchen wechsel dich

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Tunnel oder Umfahrung heißt die Schlüsselfrage in Starnberg. Und die Antwort könnte mit den Mehrheitsverhältnissen im Stadtrat zusammenhängen. Die ändern sich derzeit recht schnell

Von Peter Haacke, Starnberg

Der Verkehr und die daraus resultierende Belastung ist seit Jahren das meistdiskutierte Thema in Starnberg. "Tunnel oder Umfahrung", lautet die Zuspitzung einer emotionalen und oft genug nur wenig fundierten Diskussion in der Bevölkerung. Doch auch in politischer Hinsicht scheint sich was zu tun: Die jüngsten Fraktionswechsel und Zerwürfnisse innerhalb der "Allianz" dokumentieren, das längst keine Einigkeit mehr im Hinblick auf eine Umfahrung Starnbergs besteht.

Mit der Wahl von Eva John zur Bürgermeisterin im Frühjahr 2014, erst recht aber mit den Stadtratsneuwahlen 2015, schien sich eine Entscheidung zugunsten einer Umfahrung anzubahnen. Doch welche Umfahrung ist gemeint? Wo soll sie verlaufen? Wer soll sie bezahlen, und ist sie unter Würdigung aller relevanten Aspekte überhaupt möglich? Weder John noch WPS, BMS, BLS oder FDP haben dazu schlüssige Antworten geben können. Vom Wahlversprechen, binnen sechs bis acht Jahren eine Lösung zu präsentieren, ist man weiter entfernt als je zuvor. Stattdessen wurde ein "Verkehrsentwicklungsplan" in Auftrag gegeben, dessen Ergebnisse bisher allerdings kaum zur Entscheidungsfindung beigetragen haben. Zwar wurden hypothetische Entlastungsmodelle unter Berücksichtigung einer ortsnahen oder ortsfernen Trasse, des planfestgestellten und genehmigten B2-Tunnels oder eben die "Null-Lösung" präsentiert. Hinzu kamen zehn Varianten zu einer modifizierten Verkehrsführung in der Innenstadt. Doch einer kompetenten Einschätzung, welche Lösung tatsächlich realisiert werden sollte, enthielten sich die SHP-Verkehrsexperten aus Hannover bislang. Zumal in der Öffentlichkeit zuletzt vornehmlich diverse umstrittene Experimente der Stadtverwaltung in Rheinland- und Wittelsbacherstraße im Fokus standen. Die zentrale Frage aber bleib unbeantwortet.

Aufgrund der Fraktionswechsel von Sieglinde Loesti und Angelika Kammerl, die sich von der "Wählergemeinschaft pro Starnberg" (WPS) lossagten und "Die Parteifreien" (DPF) gründeten, sowie von Franz Heidinger, Michael Mignoli und Johannes Bötsch vom "Bündnis Mitte Starnberg" (BMS) zur "Bürgerliste" (BLS), ergeben sich durch Verschiebung der Mehrheitsverhältnisse neue Konstellationen.

Eine ortsnahe Umfahrung hatte die WPS mit Unterstützung von BMS und FDP erst vor wenigen Monaten überraschend ins Spiel gebracht. Diese Variante, die im Wahlkampf überhaupt keine Rolle spielte, hätte zwar theoretisch den größten Entlastungseffekt auf Starnberg, ist aber höchst umstritten. BLS, aber auch CSU, UWG, SPD, Grüne und DPF, stemmen sich vehement gegen eine Durchtrennung der Kreisstadt, zumal diese Variante nicht ohne Tunnel auskäme. Auf der Wunschliste der Starnberger ganz oben steht eine ortsferne Umfahrung - die aber hätte laut SHP den geringsten Entlastungseffekt. Dennoch erwärmen sich BLS und DPF ungeachtet der nur geringen Verkehrswirkung, ungeklärter Voraussetzungen und Kostenfragen bislang ausschließlich für diese Lösung.

Für den Bau des Tunnels indes plädieren weiterhin CSU, UWG, SPD und Grüne - insbesondere deshalb, weil sie sämtliche Umfahrungsvarianten für utopisch erachten. Zudem gibt es vom Bund eine Finanzierungszusage aus dem Bundesverkehrsministerium, die jüngst erst indirekt bekräftigt wurde: "Hätte man sich vor Ort auf die Realisierung der Tunneltrasse einvernehmlich verständigen können", heißt es im Schreiben an Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter "hätte angesichts des unanfechtbaren Planfeststellungsbeschlusses einer Finanzierung derzeit nichts entgegengestanden". Einig ist man sich in Starnberg nur in einem Punkt: Die "Null-Lösung" - also weder Tunnel noch Umfahrung - bringen noch weniger. Zumal der Aspekt der Luftreinheit auch beim Verkehrsministerium bislang völlig außer Acht gelassen wurde. Allein die 2018 fertiggestellte Westumfahrung wird kaum einen positiven Effekt auf die angespannte Verkehrssituation in der Kreisstadt haben.

Bestenfalls spekuliert werden kann darüber, welche konkreten Auswirkungen die Fraktionswechsel der fünf Mandatsträger auf die Entscheidung um Tunnel oder Umfahrung haben. Am realistischsten erscheint folgendes Szenario: Schon bald dürfte sich das Gremium dank CSU, UWG, SPD, Grünen, BLS und DPF von der ortsnahen Umfahrung verabschieden. Danach wird festzustellen sein, dass sich eine ortsferne Trasse angesichts schier unüberwindbarer Hürden zeitnah nicht verwirklichen lässt. Diese Erkenntnis könnte Anlass für den Rücktritt von BLS-Chef Walter Jann sein. Letzte und einzige Option bliebe somit der umstrittene B2-Tunnel. Doch den wollen WPS und BMS partout verhindern, vermutlich auch Teile der FDP, BLS und DPF. Gleichwohl fiele den derzeit sieben Stadträten von BLS und DPF eine Schlüsselrolle zu.

Am Ende dieses Prozesses müsste sich jeder Stadtrat entscheiden zwischen Tunnel - oder eben nichts. Ob bis dahin auch Berlin noch zu seiner 160-Millionen-Euro-Zusage für den Tunnel stehen wird, ist jedoch ungewiss: eine Zeitfrage.

© SZ vom 11.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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