Starnberger Kindertagesstätte:Servus statt Tschüss

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"Sei stad" und "kim her": In der Starnberger Kindertagesstätte Sankt Nikolaus werden die Kleinen zweisprachig betreut - auf Baierisch und Hochdeutsch.

Patrizia Steipe

Starnberg - "Oachkatzlschwoaf" ruft der fünfjährige Oskar wie aus der Pistole geschossen. Der aufgeweckte Bub ist mittlerweile fast schon ein Medienprofi und weiß, mit was man bei den Erwachsenen Eindruck schinden kann. Vor zwei Monaten hat Nadine Wackerl, Leiterin der Kindertagesstätte Sankt Nikolaus in Starnberg, das Projekt "Dialektförderung" gestartet. Deutsch und Bairisch stehen auf dem Programm, nicht als Unterrichtsfach, die Sprachen werden spielerisch gelehrt. "In den Gruppen gibt es eine bairisch sprechende und eine deutsch sprechende Erzieherin", berichtet Wackerl. So lernen die Kinder gleichzeitig Dialekt und Hochsprache kennen.

Im Kindergarten St. Nikolaus in Starnberg lernen die Kinder neben Hochdeutsch auch die bayerische Sprache. Im Bild Kindergartenleiterin Nadine Wackerl mit Fiona (v.l.), Julius, Julian und Nelly. (Foto: Franz-Xaver Fuchs)

95 Kinder besuchen derzeit eine der Krippen- oder Kindergartengruppen. "Von diesen können höchstens zehn Prozent bairisch sprechen", bedauert Wackerl. An einem Abend kam auch in ihrem Starnberger Trachtenverein das Gespräch darauf, dass immer weniger Kinder Dialekt können. Im Urlaub hatte Wackerl dann plötzlich die Idee, wie sie dem entgegenwirken könnte. "Die Kita hat das Glück, dass in jeder Guppe zufällig eine mit bairischem Dialekt aufgewachsene Angestellte arbeitet." Diese brauchten nur auch in der Gruppe bairisch zu sprechen. "So hören die Kinder den ganzen Tag beide Sprachen und können bairische Wörter übernehmen", überlegte Wackerl. Nach acht Wochen kann Wackerl bereits erste Erfolge verbuchen. Statt wie am Anfang "oans, zwoa, droa" zu zählen wissen die Kinder nun dass es "oans, zwoa, drei" heißt. Wenn sie zusammen spielen, hört man immer öfter "sei stad" oder "kim her" und "servus" sowie "pfiadi" haben sich zu dem "tschüss" dazugesellt.

"Für mich war es am Anfang eine Umstellung", berichtet Johanna Lutz. Die Erzieherin aus Steingaden (Landkreis Weilheim-Schongau) musste sich daran gewöhnen, in ihrem Heimatdialekt zu sprechen und hochdeutsche Antworten zu bekommen. "Ich kann jetzt viel natürlicher sein und muss mich nicht in der Sprache verstellen", sagt sie. Für die Kinder sind die beiden Sprachen mittlerweile selbstverständlich. "Ich hab eine neue Geheimsprache", freut sich Oskar, dessen Eltern kein Bairisch können. Auch Vinzent rattert begeistert bairische Vokabeln herunter. Besonders die "gelben Ruam" haben es ihm angetan, und beim Singen ist er vorn dabei. "I hob a Laterndal, des is so sche bunt, und ob'n hod's a Steckal und unt'n is rund" heißt beispielsweise das Lied, das die Kinder für Sankt Martin einstudieren.

Neben der Sprache sollen die Kinder bayerische Bräuche und Sitten kennenlernen. Sie haben Brezn gedreht und in Raisting eine echte Kirta-Hutschn ausprobiert. Sie malen bayerische Rautenwappen und sich selbst in Dirndl und Lederhosen. Besonders die fünfjährige Maria ist von dem Dirndlbild ganz begeistert. "Ich bekomme bald selbst ein Dirndl", freut sie sich. Vinzent und Oskar möchten keine Lederhose. Sie haben den Trachtentanz in Jeans und Sweatshirts gemacht. Nadine Wackerl ist das recht. "Bei uns ist alles freiwillig." Es gehe nicht darum, aus den Kindern waschechte Bayern zu machen. Der Spaß am Sprachen lernen und das Interesse für Bräuche stehen im Vordergrund.

Auch die Eltern, die im Vorfeld über das neue Konzept informiert worden waren, sind davon angetan. Bei ihnen steht nicht so sehr das Bairisch lernen, sondern der Fördergedanke im Vordergrund. Wissenschaftliche Untersuchungen hätten nämlich erwiesen, dass Kinder, die zweisprachig aufwachsen, im abstrakten Denken gefördert werden, "sie können später leichter eine Fremdsprache lernen", weiß Wackerl. Um die Eltern miteinzubeziehen, möchte Wackerl sie zu bayerischen Abenden einladen. Dann bleibt das Bairisch keine "Geheimsprache" mehr, und auch Oskars Eltern können bald "Oachkatzlschwoaf" fehlerfrei aufsagen.

© SZ vom 03.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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