Starnberg:Wortloses Unglück

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Maike Conway mit einem Bild ihrer Hauptdarstellerin. (Foto: Fuchs)

Die Starnberger Regisseurin Maike Conway stellt an diesem Donnerstag "Corinnes Geheimnis" vor, ihren Film über ein Kind, das mit HIV infiziert ist und darüber mit Freundinnen nicht reden konnte

Von Blanche Mamer, Starnberg

"Es hätte sein können dass sie es ablehnt, sich zu outen. Dann hätte ich den Film vergessen können. Als sie dann bereit war, ihre Freunde über ihre HIV-Infektion zu informieren, war ich erleichtert, einerseits, andererseits aber auch besorgt, ob es gut gehen werde", sagt Regisseurin Maike Conway über "Corinnes Geheimnis". Es ist gut gegangen. Corinnes Freunde haben sich nicht abgewendet, und selbst ihr derzeitiger Arbeitgeber, der Robinson Club auf Fuerte Ventura, hat sich gegen eine Kündigung entschieden und wird sie noch ein weiteres Jahr beschäftigen. Bis jetzt hat sich auch niemand beschwert, dass sie ihr Geheimnis so lange gewahrt hat. Die ganze Schulzeit über, also 13 Jahre, und das ist sehr lang, haben weder Mitschüler noch Eltern von Corinnes HIV-Infektion erfahren. Nur der Direktor des Gymnasiums wusste Bescheid, er hat ebenfalls geschwiegen.

Maike Conway, die in Starnberg aufgewachsen ist und zur Schule ging, hat ihre Langzeitdokumentation über das mit HIV infizierte Pflegekind einer oberbayerischen Familie vor zehn Jahren auf eigene Kosten gestartet. Über den Verein "Sonnenstrahl", der die Kinder von Aids-kranken Müttern an Pflegefamilien vermittelte, kam sie in Kontakt mit der Familie Pothast, die am Chiemsee lebt und Corinne aufgenommen hat. "Wir waren uns gleich sympathisch", sagt sie vom ersten Kennenlernen mit der Pflegemutter Andrea. Es sei auch gleich anfangs geklärt worden, dass das Kind das letzte Wort haben werde, in Bezug auf die Veröffentlichung des Films.

Das Treffen mit Corinne war ebenfalls problemlos, sie war neun, so hübsch und so aufgeweckt. "Sie hüpfte immer herum und bewegte sich ganz ungezwungen vor meiner Kamera", erzählt die Regisseurin. Gedreht hat sie anfangs mit einer kleinen Amateurkamera, wie ein Familienvideo. Später bekam sie das professionelle Equipment von Thomas Riedelsheimer. Maike Conway ist Quereinsteigerin, sie studierte Musik, arbeitete als Fotoassistentin und Cutterin, seit 1996 ist sie freie Filmemacherin mit Schwerpunkt Dokumentationen. Da Corinne nur ein Jahr jünger war als die eigene Tochter, lernten die beiden sich kennen und wurden gute Freundinnen. "Wir wohnten etwa eine Stunde voneinander entfernt, meine Tochter hat mich begleitet, und die beiden haben viel miteinander gemacht. Corinne hat oft bei uns übernachtet", erzählt Conway (48). Der Tochter hätten sie schon bald von der Infektion erzählt, was für Corinne gut war und ihr Sicherheit gab, denn so musste sie wenigstens bei ihr nicht auf der Hut sein. Da die beiden nicht auf der gleichen Schule waren, bestand auch keine Gefahr, dass es herauskommen könnte.

"Stellen Sie sich vor, was das mit einem Kind macht, wenn es so ein Geheimnis mit sich herumtragen muss, mit niemandem reden darf. Immer ist da die Angst, durch ein unvorsichtiges Wort Freunde zu verlieren oder nicht mehr gemocht zu werden." Dieses Gefühl, dass da etwas anders ist, sei furchtbar. Corinne habe immer versucht, das zu überspielen. In der Pubertät war es besonders schwierig. Weil sie ständig Medikamente nehmen musste, war vieles streng verboten: Sie durfte keinen Tropfen Alkohol trinken, nicht rauchen. Und sie musste immer rechtzeitig zu Hause sein. Die Verbote wurden alle der Mutter zugeschrieben, die als total streng und völlig uncool galt. "Andrea musste streng sein und konsequent. Denn eine Pflegemutter steht sofort am Pranger, sollte das Kind mal betrunken sein oder mit Drogen erwischt werden", sagt Conway. In der Zeit hatten Mutter und Tochter etliche Kabbeleien. Wut und Ärger sind stark, jede negative Äußerung der Pflegemutter - Corinne nennt sie Momo, Mama ist die leibliche Mutter, die starb, als Corinne sechs war - stößt auf Widerspruch und wird daraufhin geprüft, ob sie das Kind denn überhaupt liebe.

Diese Frage hat Corinne immer umgetrieben, sie wusste ja lange nicht, warum sie nicht bei ihrer Mutter bleiben durfte, also wehrte sie sich gegen die Pflegefamilien und schließlich auch gegen Familie Potast. Doch auch das ist gut geworden. Und Maike Conway bleibt in Kontakt, will Corinnes Leben weiter begleiten. Den Film hat die Regisseurin ans ZDF verkauft, zudem gibt es eine kürzere Version für die Reihe 37 Grad und eine Fassung von 15 Minuten für den Kinderkanal Kika.

Beim Fünfseen-Filmfestival läuft "Corinnes Geheimnis" im Dokumentarfilmwettbewerb an diesem Donnerstag, 18.30 Uhr, in der Schlossberghalle in Starnberg und um 21. 30 Uhr in Seefeld.

© SZ vom 06.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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