Starnberg:Widerstand und Wahrheit

Lesezeit: 6 min

Seit mehr als zehn Jahren gibt es Vorbehalte gegen den B2-Tunnel, doch nicht alle Argumente stimmen

Von Peter Haacke, Starnberg

Wäre ein B2-Tunnel für Starnberg so gefährlich wie dessen Gegner behaupten? Unbestritten ist die zunehmende Verkehrsbelastung. Im Lauf der Jahre haben aber insbesondere die Gegner des Entlastungstunnels höchste Verunsicherung in weiten Teilen der Bevölkerung erzeugt. Nicht alle Argumente sind stichhaltig. Die SZ hat die verbreitetsten Behauptungen gesammelt, ehe der Stadtrat am Montag möglicherweise abschließend über das Thema berät und es zu einer Abstimmung kommt. Die Stellungnahmen entstanden in Zusammenarbeit mit Michael Kordon, Leiter des Staatlichen Bauamts Weilheim, und Thorsten Schüler ("Dr. Thosch"), Experte für Verkehrsplanung und -steuerung. Es folgen: Die populärsten Vorbehalte und Argumente gegen den Bau eines B2-Tunnels und ihr Wahrheitsgehalt.

Eine Umfahrung ist machbar, sie müsste nur "politisch gewollt" sein.

Eine Nord-Ost-Umfahrung Starnbergs ist weder vom Landkreis noch vom Freistaat politisch gewollt. Ihre Machbarkeit ist bisher weder ausreichend geplant noch geprüft. Hinsichtlich der Eingriffe in Natur und Landschaft gilt der Bau einer Umfahrung im Norden Starnbergs als sehr schwierig.

Zur Lösung der Verkehrsfrage herrschte in den letzten 30 Jahren "Stillstand"; die jeweiligen Bürgermeister und Mehrheitsparteien haben nichts erreicht.

Der Planfeststellungsbeschluss für den B2-Tunnel liegt seit 2008 vor. Anschließend wurde er beklagt, 2009/2010 wurde er rechtskräftig. Danach bemühte sich die Stadt um Bereitstellung von Bundesmitteln. Die Westumfahrung war stets Bestandteil eines Gesamtkonzeptes mit B2-Tunnel. Der Zeitbedarf bei Straßenbauprojekten besteht zu 80 Prozent aus Gutachten, Planungen, Genehmigungen und Klagen, zu 20 Prozent aus dem eigentlichen Bau. Beim B2-Tunnel ist die 80-Prozent-Marke erreicht. Die Planungen für irgendeine Variante der Nord-Ost-Umfahrung steht noch nicht einmal am Anfang.

Die Wähler haben sich 2015 "mit überwältigender Mehrheit" für den Bau einer Umfahrung entschieden.

Nur 48,8 Prozent - 8972 von 18400 Wahlberechtigten - haben an der Wahl teilgenommen. Eine Zwei-Drittel-Mehrheit davon vertraute auf das nicht erfüllbare Wahlversprechen der "Allianz"-Gruppierungen zu einer Umfahrung.

Bund, Freistaat Bayern oder Landkreis Starnberg beteiligen sich finanziell am Bau einer Umfahrung.

Nein. Das Protokoll des Gesprächs im Innenministerium bestätigt, dass eine Umfahrung allein von der Stadt zu planen wäre. Auf absehbare Zeit besteht keine Aussicht, dass Bund oder Freistaat eine Umfahrungslösung planen oder finanzieren.

starnberg widerstand und wahrheit starnberg widerstand und wahrheit (Foto: Georgine Treybal (6), Franz Xaver Fuchs (2), Collage: Dennis Schmidt)

Mit dem Tunnel werden bis zu 180 Millionen Euro Steuergelder verschwendet.

Das Projekt wird nach aktuellem Stand auf zirka 162 Millionen Euro geschätzt. Davon zahlt allein der Bund rund 159 Millionen, drei Millionen die Stadt Starnberg.

Der Tunnel nutzt nur Weilheim und Gemeinden aus dem südlichen Landkreis.

Die Entlastung vom Durchgangsverkehr nutzt vor allem den Starnbergern. Für die Durchfahrer entfallen Wartezeiten vor den Ampeln, die Luftqualität wird besser. Der Tunnel wird die Verkehrsverbindung für den regionalen Verkehr aus dem Raum Weilheim- Peißenberg- Schongau mit Zielrichtung München deutlich verbessern.

Der B2-Tunnel führt zur "Selbstzerstörung Starnbergs".

Der Tunnel führt zu einer wesentlichen Entlastung Starnbergs vom Durchgangsverkehr. Sie bewirkt Entwicklungsmöglichkeiten vor allem in der Innenstadt.

Durch den Tunnel werden Häuser Schaden nehmen oder sogar einstürzen. Der Tunnel liegt in Grundwasserströmen.

Das Risiko wird durch begleitende Prüfungen und Gegenmaßnahmen bei ersten Anzeichen von Bauwerksschäden vermieden. Es gab im Vorfeld umfangreiche hydrogeologische Untersuchungen. Außer dem Südportal verläuft der gesamte Tunnel im Grundwasser. Dies wird durch das Bauverfahren berücksichtigt. Zum Erhalt der Grundwasserverhältnisse sind Düker (Rohrunterführungen) vorgesehen.

Der Tunnel müsste länger sein und sollte weiter "draußen" beginnen.

Eine Verlängerung nach Süden hat keine Vorteile. Eine Verlängerung nach Norden hätte geringere Verkehrswirksamkeit, weil kein Anschluss der Gautinger Straße an den Tunnel möglich ist und die Rückstaugefahr erhöht. Zudem bestehen äußerst ungünstige Bodenverhältnisse (Seeton) ab der Bahnlinie, die enorme Mehrkosten verursachen würden.

Für den Bau des Tunnels müssten Besitzer eines Gebäudes enteignet werden.

Für den Tunnelbau ist am Ende der Petersbrunner Straße ein Grunderwerb zwingend notwendig. Stadt und Bauamt hatten dem Eigentümer zehn Grundstücke und Ausgleichszahlungen angeboten, die allesamt abgelehnt wurden. Abhängig vom Verlauf der Grunderwerbsverhandlungen sind Besitzeinweisungen und Enteignungen auf Grundlage des Planfeststellungsbeschlusses grundsätzlich möglich.

Der B2-Tunnel ist nur einröhrig und bietet daher zu wenig Kapazitäten.

Für einen zweiröhrigen - also vierspurigen - Tunnel ist in Richtung Weilheim keine Anschlussinfrastruktur vorhanden. Auch wäre die Münchner Straße auf acht Spuren zu erweitern. Meh r als 50 Prozent des Verkehrs haben Ursprung oder Ziel in Starnberg. Die Kapazität des Tunnels beträgt 18 000 Kraftfahrzeuge pro Tag.

Der Sicherheitsstandard des Tunnels auf aktuellem Stand ist planerisch veraltet und widerspricht EU-Richtlinien.

Die geplanten Sicherheitsvorkehrungen entsprechen den aktuell gültigen Richtlinien für Ausstattung und Betrieb von Straßentunneln (RABT). Tunnel, die den Sicherheitsstandards nicht entsprechen, dürfen nicht gebaut werden.

Für den Bau von B2-Tunnel oder Umfahrung ist bis zur Freigabe der gleiche Zeitraum von zehn Jahren anzusetzen.

Die Bauzeit für den Tunnel beträgt insgesamt zirka acht Jahre; Zwei Jahre für Vorarbeiten, vier Jahre reine Bauzeit für den Tunnel, zwei Jahre Nacharbeiten. Allein für die Erlangung des Baurechts einer Umfahrung sind - wenn überhaupt realisierbar - mindestens zehn Jahre nötig. Hinzu kommt die eigentliche Bauzeit, die - je nach Variante - auch einen Tunnel oder Brückenbauwerke vorsieht. Planungszeiträume neuerer Straßenbauprojekte bewegten sich zwischen 15 und 30 Jahren.

Insgesamt 33 Baustellen führen über Jahre zu Chaos im ganzen Stadtgebiet.

Die Baustellen sind zeitlich und räumlich verteilt, es kommt nur temporär und örtlich zu Einschränkungen. Bei den Baustellen handelt es sich um die Portalbereiche, sechs Notausstiege, ein Lüftungsgebäude, fünf Dükeranlagen, ein Bahnbauwerk und zwei Bereiche für Hebungsinjektionen.

Der Tunnelbau beeinträchtigt Haupt-, Weilheimer und Münchner Straße.

Auf der Hauptstraße ist keine Baustelle vorgesehen. Auf Münchner und Weilheimer Straße gibt es Umleitungen im Bereich der Tunnelportale, bei denen die vorhandenen Fahrspuren erhalten bleiben. Ein Großteil des Tunnels verläuft unter dem Schlossberg.

Die Rodung des Waldbestands für die Notausstiege führt zur Vernichtung des innerstädtischen Grüngürtels.

Für gefällte Bäume sind Ersatzpflanzungen vorgesehen. Bei einer Umfahrung müsste Wald auf einer geschätzten Fläche von 38 Fußballfeldern (!) gerodet werden.

Der B2-Tunnel bringt keinerlei Entlastung für Starnberg, weil die Staatsstraßen nicht angebunden sind.

18 000 Fahrzeuge weniger entlasten die Durchfahrt und erhöhen die Kapazität in der Stadt; zudem entlastet das Verbot für Schwerlastverkehr in der Hanfelder Straße. Der Tunnel entfaltet wesentliche Wirkung zusammen mit der Westumfahrung.

Der Bau des Tunnels zieht noch mehr Verkehr in die Stadt.

In die Stadt nicht, in den Tunnel hoffentlich. Ohne Tunnel wird mit Fertigstellung der Westumfahrung 2018 weitere Zunahme innerstädtischen Verkehrs erwartet.

Der Tunnel ist unsicher, Rettungskräfte können im Notfall nicht einfahren.

Für den Fall eines Brandes, bei dem auch die Gegenspur blockiert wäre und Fahrzeuge nicht einfahren könnten, kann schweres Gerät über die Notausgänge abgeseilt werden. Der Tunnel berücksichtigt alle aktuellen Sicherheitsstandards.

Durch den Tunnel ist mit höheren Schadstoffbelastungen zu rechnen. Der Abluftkamin am Schlossberg bläst Feinstaub und Abgase ungefiltert in die Luft.

Die aktuelle Schadstoffbelastung wird durch den Tunnel nicht verschlechtert. Die Grundbelastung ist ohne Tunnel höher. Die Belastungen sind proportional zum Verkehrsaufkommen. Abluft wird über das Entlüftungssystem in höhere Luftschichten verbannt. Durch steigenden Anteil an Elektromobilen und schadstoffärmeren Autos ist künftig nicht mit höherer Schadstoffbelastung zu rechnen.

Mit Fertigstellung der Westumfahrung ist ein Großteil des Starnberger Durchgangsverkehrs bereits draußen.

Im Gegenteil: Durch die Westumfahrung wird Lkw-Verkehr in die Stadt hineingezogen, sobald die Hanfelder Straße herabgestuft und entlastet wird. Die Westumfahrung nimmt vor allem Verkehr von der B2 zur A96 auf. Der Gesamtverkehr wird nur begrenzt beeinflusst.

Eine Umfahrung hätte größere Entlastungswirkung als der B2-Tunnel.

Dagegen sprechen alle vorliegenden Verkehrszahlen. Gemäß aktuellem SHP-Gutachten im Rahmen des Verkehrsentwicklungsplan trifft diese Aussage nur auf eine ortsnahe Nord-Ost-Umfahrung zu, die aber neben einer Straße durch Bannwald auch einen Tunnel oder eine Brücke erfordert. Von allen Varianten entlastet die ortsferne Umfahrung am wenigsten.

Der Tunnel führt Starnbergs Einzelhandel in den Ruin , die Umleitungen führen zur Verödung der Innenstadt.

Der Bau erfolgt im Wesentlichen bergmännisch - also unterirdisch. Der Verkehr fließt während der Bauzeit weiterhin oberirdisch. Zeitliche Einschränkungen sind während der Bauphase möglich etwa beim Bau von Dükern oder Schächten.

Der Tunnel erfordert jährlich eine Million Euro an Unterhaltskosten zu Lasten der Stadt Starnberg.

Die Unterhaltskosten einer Bundesstraße bezahlt der Eigentümer - also der Bund.

Die Starnberger sollen mittels Bürgerentscheid über den Tunnel abstimmen.

Mit einem Bürgerentscheid kann nur über eine Mitarbeit der Stadt entschieden werden. Den B2-Tunnel baut der Bund, nicht die Stadt. Bei den Kommunalwahlen 2008, 2014 und 2015 wurde ein Bürgerentscheid gelegentlich thematisiert, aber nicht weiter entschieden verfolgt.

Der Protest der Unterbrunner führte binnen weniger Jahre zum Bau einer Umfahrung.

Die Umfahrung von Ober- und Unterbrunn hat bis zur Inbetriebnahme mehr als 15 Jahre gedauert. Bei der Planung gab es aber keine Einwendungen und der Bau erfolgte ohne Planfeststellungsverfahren.

Der Pro-Umfahrungs-Allianz wurde eine Umfahrung in Aussicht gestellt.

Das geht aus dem Gesprächsprotokoll mit der Obersten Baubehörde nicht hervor. Außer Zeichnungen privater Gutachter gibt es bislang keine konkreten Unterlagen.

Sobald der Tunnel abgelehnt ist, baut sich Starnberg selbst eine Umfahrung.

Diese Aussage ist wegen der von SHP und Bürgerinitiative "Contra Amtstunnel" geschätzten Kosten für eine ortsnahe Umfahrung von 125 Millionen Euro wertlos, zumal sich Starnberg eine "Seeanbindung" mit Kosten in vergleichbarer Höhe nicht leisten kann. Die Stadt wäre finanziell auf sich gestellt. Die ortsferne Umfahrung soll nur bis zu 40 Millionen Euro kosten, blendet aber strittige ökologische Aspekte wie FFH- und Wasserschutzgebiete aus.

© SZ vom 18.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: