Starnberg:Von Individuum und Masse

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Im Zentrum der Ausstellung stand die aus einer Vielzahl von Selbstportraits bestehende Installation "Auf der Suche nach dem Ich fand ich Dich". (Foto: Treybal)

Mit der Ausstellung "ernst und heiter" der Fotokünstlerin Marlen Peix endet die Reihe "Temporärer Kunstsalon 5" in einer leer stehenden Büroetage in Starnberg

Von Katja Sebald, Starnberg

Es ist kein alltäglicher Ort, den sich die Starnberger Fotokünstlerin Marlen Peix für ihre Ausstellung "ernst und heiter", die sie sich selbst zum 66. Geburtstag schenkt und die die Reihe "Temporärer Kunstsalon 5" beschließt, ausgesucht hat: eine leer stehenden Büroetage in der Josef-Jägerhuber-Straße in Starnberg. Ein Jahr lang kuratierte sie zusammen mit Karin Pfab die Ausstellungsreihe, jetzt will sie sich wieder verstärkt ihrer eigenen künstlerischen Arbeit zuwenden.

Die Künstlerin mit venezianischer Maske oder als Eule verkleidet. Mit Hut oder mit Lockenwicklern. Mit Hakennase als "Brockenhexe" oder mit rotem Lippenstift als Vamp. Mit blauer Haut oder mit grünen Haaren. Mit nassen Haaren unter der Dusche oder in blauer Unterwäsche mit grünem Schal. Mit roter Brille, mit grüner Brille, mit bunter Brille, mit verspiegelter Brille oder mit Lesebrille. Schließlich mit einem Kranz aus Stacheldraht und als Mädchen mit langen Zöpfen. Im Zentrum der Ausstellung stand die aus einer Vielzahl von Selbstportraits bestehende Installation "Auf der Suche nach dem Ich fand ich Dich". Jedes einzelne Bild stand dabei für eine Facette der eigenen Lebensgeschichte.

Marlen Peix wuchs im Harz nur zwei Kilometer von der innerdeutschen Grenze auf - Stacheldraht ist ein Motiv ihrer Kindheit: "Wir dachten, dort ist die Welt zu Ende." Um die verschiedenartigen Klänge ihres Lebens zu versinnbildlichen, fotografierte sie sich selbst in immer neuen Situationen und mit immer wieder anderen Accessoires oder sie veränderte am Bildschirm Fotos aus früheren Jahren. Mit den vermeintlich schönen Selfies, die heutzutage geradezu inflationär verbreitet werden, hat das alles jedoch nichts zu tun: Die Künstlerin zeigt sich auch und gerade in eher unvorteilhaften Kostümierungen, sie schneidet Grimassen und betont die Spuren des Lebens in ihrem Gesicht, anstatt sie zu vertuschen. Und diese Bilder präsentiert sie auch nicht nebeneinander oder als chronologische Abfolge, sondern auf transparente Folien aufgezogen und im Raum verteilt, sodass sich aus der Vielzahl der Bilder ein kaleidoskopartiges und höchst eindrucksvolles Ganzes ergibt.

Nicht minder eindrucksvoll ist in einem Nebenraum die Installation "Abschied", die Marlen Peix ihrem 2012 an Krebs verstorbenen jüngeren Bruder Gunter Peix widmet. Auch hier hat sie Bilder auf transparente Folien übertragen, diesmal sind es aber Montagen aus jeweils einer Hälfte ihres eigenen Gesichts und dem des Bruders. Außerdem sind die beiden Geschwister in verschiedenen Phasen gemeinsam auf Fotos zu sehen. Zwei Portraitzeichnungen und zwei flankierende Bilder, die der Bruder malte, ergänzen diesen anrührenden, sorgfältig ausgeleuchteten und mit Blumen geschmückten Gedenkraum.

In den übrigen Ausstellungsräumen sind weitere Schwarz-Weiß-Bilder zu sehen. Dem Individuum stellt Marlen Peix hier die anonyme Masse gegenüber, dem persönlichen Erleben die Erfahrung des Fremdseins. Die meisten der zunächst als Schnappschüsse entstandenen Bilder von Menschenmengen und Gruppen sind stark bearbeitet. So wandelt die Künstlerin die ursprünglich farbigen Fotografien um, verstärkt die Kontraste erheblich. In einigen Bilder geht die Verfremdung so weit, dass die einzelnen Personen nurmehr als Chiffren wahrgenommen werden können. Eine Landschaftsaufnahme vom Starnberger See ist wohl ebenso als Facette der eigenen Biografie zu verstehen wie die Reisen und Begegnungen, die zu diesen Bildern von Menschen geführt haben. Auch der wiederkehrende Stacheldraht gehört dazu. Es gehe aber nicht nur um sie selbst, sagt die Künstlerin: "Es sind Themen, die uns alle angehen."

© SZ vom 15.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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