Starnberg:Viele Autos und noch mehr Probleme

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Verkehrsexperten aus Hannover kommen in einer Voruntersuchung zu nicht ganz neuen Erkenntnissen: Die Starnberger sind selber schuld an ihrem Dauerstau, die Zahl der Autofahrten hat sogar zugenommen. Nun sollen vertiefende Prüfungen folgen

Von Peter Haacke, Starnberg

Der Starnberger erledigt sehr viel mit dem Auto - und ist damit selbst Hauptverursacher eines Problems, das er schon seit Jahren beklagt: der enormen Verkehrsbelastung. Die Erkenntnis zur Bedeutung des "motorisierten Individualverkehrs" in Starnberg ist zwar nicht neu. Bereits seit 1989 weiß man, dass die Anzahl der Autofahrten in Starnberg "krass und ungewöhnlich" weit über dem Durchschnitt liegt. Verblüffend aber: Die Autodominanz hat entgegen allen Trends sogar zugenommen. Dieser Umstand war ein Aspekt, der bei der Präsentation erster Erkenntnisse zum "Verkehrsentwicklungsplan" (VEP) im Projektausschuss Verkehrsentwicklung am Donnerstag zur Sprache kamen. Die zentrale Streitfrage - Tunnel oder Umfahrung - bleibt zwar vorerst weiterhin ungeklärt. Der Ausschuss, der erst wieder im Januar 2016 tagen wird, will nun wissen, welche Auswirkungen der Bau eines Tunnels hätte, welche eine ortsferne oder ortsnahe Umgehung - ungeachtet technischer sowie finanzieller Machbarkeit - und was wäre, wenn weder Tunnel noch Umfahrung gebaut würden.

Die Verkehrsexperten von SHP Ingenieure (Hannover), die 2016 einen vollständigen VEP vorlegen wollen, hatten einen spannenden und kurzweiligen Vortrag mitgebracht. Nach dreimonatiger Recherche, Verkehrszählungen und Gesprächen mit nahezu allen relevanten Interessengruppen der Stadt erläuterte SHP-Geschäftsführer Jörn Janssen die Methodik des Vorgehens zu dieser "spannenden und komplexen Aufgabe". Sein erster Eindruck: Es gebe viele Probleme - sowie "viele andere Probleme, die Sie auch noch haben". So präsentierte das SHP-Team in einer Mängelanalyse diverse Schwachpunkte und Merkwürdigkeiten im Starnberger Verkehrsgeschehen, aber auch einige schnell umsetzbare Verbesserungsmöglichkeiten.

Demnach sind viele Straßen oft zu Gunsten von Autos und Stellplätzen gestaltet, Fußgänger und Radler dagegen eher an den Rand gedrängt. Als problematisch wurde zudem die städtebauliche Anbindung an den See unter den Gleisen hindurch empfunden - ein Thema, mit dem sich die Starnberger voraussichtlich noch intensiver beschäftigen sollten. Mit der straßenräumlichen Analyse für die problematischsten Teilbereiche der Stadt - Zentrum und nördlicher Bereich zwischen Hanfelder und Gautinger Straße - erstellte SHP Steckbriefe für ausgewählte Verkehrszüge, um eine erste Einschätzung für den künftigen Handlungsbedarf zu erhalten. Die SHP-Verkehrszählungen bestätigten weitgehend vorherige Daten - auch wenn sich der Zeitraum der Erhebungen auf 24 Stunden erstreckte. Die am meisten befahrene Straße Starnbergs ist demnach die Münchner Straße mit bis zu 45 500 Fahrzeugen pro Tag. Mit den aktuellen Zählungen aber habe Starnberg nun eine "verlässliche Datengrundlage" für ein eigenständiges Verkehrsmodell, sagte SHP-Geschäftsführer Janssen.

Die Mitglieder des Gremiums zeigten sich überwiegend angetan vom wissenschaftlichen Ansatz zur Lösung der drängenden Verkehrsproblematik - auch wenn die meisten Erkenntnisse schon lange bekannt sind. Doch es gab auch Kritik: So monierte Martina Neubauer (Grüne), dass Leitbild und Ziele für das Jahr 2030 im Stadtrat nicht kommuniziert worden seien. Christiane Falk (SPD) zeigte sich irritiert darüber, dass dem Stadtrat keine Unterlagen zur Ausschreibung des Auftrags vorliegen, die aber laut Bürgermeisterin Eva John ("Wir geben keine Unterlagen raus") eingesehen werden könnten.

Zentrale Bedeutung hat die berechtigte Fragestellung, ob eine Umfahrung rechtlich und finanziell überhaupt machbar ist. Doch daran war die Mehrheit im Gremium - WPS, BMS, FDP und BLS - gar nicht interessiert. Neubauer ("Wir bekommen möglicherweise ein Ergebnis, das gar nicht umsetzbar ist") stellte daher einen entsprechenden Antrag, fand aber nur bei CSU, SPD und UWG Unterstützung und fiel letztlich mit 5:8 Stimmen durch. Als kurios empfanden einige der 40 Zuhörer die Darstellung der Umfahrungsvarianten: In Ermangelung konkreter Vorschläge hatten die Verkehrsexperten einfach "Trassenkorridore" in eine Skizze gemalt; die grob schraffierten Gebiete ließen keinerlei Rückschlüsse auf konkrete Realisierungsmöglichkeiten einer ortsnahen oder -fernen Umfahrung zu. Unbehagen verspürte Patrick Janik (UWG): "Wenn ich Sonntagabend Hunger habe, sollte ich in den Kühlschrank schauen und nicht ins Kochbuch", sagte er und plädierte mit Blick auf den VEP für eine vorherige Überprüfung, welche Umfahrung denn überhaupt möglich ist. Ein Zuhörer brachte die Sache auf den Punkt: "Den Stadtrat interessiert nicht, was eine Umfahrung kostet und es interessiert ihn nicht, ob eine Umfahrung überhaupt gebaut werden kann. Der Stadtrat ist nur an der rein theoretisch möglichen Verkehrsentlastung interessiert."

Ein eher unkonventioneller Hinweis darauf, wie man die Verkehrsbelastung in der Stadt, ihre Auswirkungen auf Mensch, Gesundheit und Umwelt wohl auch "nachhaltig und spürbar" reduzieren könnte, findet sich in der Beschlussvorlage der Stadtverwaltung: Grundlegendes Zielkriterium für die weitere Planung, heißt es hier, sei eine "Reduzierung der Anzahl der von Lärm und Abgasen belasteten Einwohner".

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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