Starnberg:Unruhige Zeiten in der Stadt

Lesezeit: 2 min

Der Historiker Paul Hoser über das Kriegsende in Starnberg

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

Kriegsende in Starnberg: Am 29. April 1945 war in der Stadt alles weitgehend ruhig. Die Geschäfte hatten noch offen und die Starnberger kauften alles ein, was ihnen unter die Finger kam. Dann kamen die Amerikaner. Am Nachmittag fuhren mehrere Jeeps die Hanfelder Straße hinunter. Es war die Vorhut, die Panzer kamen erst mehrere Stunden später. Hildegard Brücher, die in der Hanfelder Straße wohnte und später als FDP-Politikerin Hamm-Brücher bekannt werden sollte, ließ vor ihrem Haus eine Straßensperre aus drei Bäumen errichten. Zudem sollten die Anwohner eine Kette bilden und heißes Wasser über die Panzer gießen. Es nutzte nichts, die Panzer fuhren über die Straßensperre hinweg.

Im Gegensatz zu anderen Städten, wie Dachau oder Penzberg, verlief der Einmarsch der Amerikaner in Starnberg weitgehend friedlich. Dies lang nach Angaben des Historikers Paul Hoser insbesondere daran, dass der damalige Landrat Max Irlinger die Waffen-SS dazu bewegen konnte, vorher abzuziehen. Es wurde entschieden, dass Starnberg nicht verteidigt wird und man hängte weiße Bettlaken aus den Fenstern.

In Zusammenarbeit mit dem Kulturamt hatte das Kulturforum Starnberg am Freitag zu dem Vortrag "Jetz' is die Fahne davong'flogen!" in den Bahnhof See eingeladen. Hoser las einen Auszug aus dem Buch "Politische Geschichte Starnbergs", das im Frühjahr 2016 in zwei Bänden erscheinen soll. Der freischaffende Historiker hat detailgenau und gründlich recherchiert. Für das Werk sind schon jetzt mindestens 950 Seiten geplant. Seinen Vortrag konzentrierte der Historiker deshalb auf die Tage vor und nach den Einmarsch der Amerikaner. Die Veranstaltung, die thematisch im Kontext zur Filmreihe "70 Jahre Frieden" gesetzt wurde, stieß auf großes Interesse. Der Wartesaal war voll.

Wie Hoser erklärte, ist er bei seinen Recherchen auf Dokumente von Berthold Spangenberg gestoßen. Der spätere SPD-Stadtrat von Starnberg war während der NS-Zeit Mitglied der Widerstandsgruppe Bayerische Freiheitsbewegung. Seine schriftlichen Erinnerungen erwiesen sich laut Hoser als äußerst ergiebige Quelle und seien "ein Glücksfall" für ihn gewesen.

In den Tagen vor Kriegsende überschlugen sich die Ereignisse. Schneetreiben setzte ein und der Häftlingszug wurde durch Starnberg in Richtung Ostufer getrieben. Obwohl es streng verboten war, steckten die Starnberger den Menschen, die sich kaum noch aufrecht halten konnten, Essen zu. Und als die Amerikaner kamen, wurde zwar auch in Starnberg geraubt und vergewaltigt, aber es kam zumindest niemand zu Tode. Allerdings mussten viele Bürger, darunter beispielsweise der Chemiker Heinrich Wieland, ihre Häuser verlassen, weil sie von den Amerikanern beschlagnahmt wurden. Doch die Bürger gaben widerstandslos alles her. Schnell wurden sämtliche Relikte aus der NS-Zeit, wie Straßenschilder oder Hakenkreuze, entfernt und eine Not-Verwaltung aufgebaut.

Und als Ende Mai ein neuer US-Captain der Militärregierung eingesetzt wurde, kehrte bald wieder Ruhe ein. Auffallend war nach Angaben des Historikers auch, dass viele hochrangige Nazis aus Starnberg nach dem Krieg unbehelligt blieben. Mit dem ehemaligen Reichsminister Wilhelm Frick sei nur ein einziger Starnberger bei den Nürnberger Prozessen zum Tode verurteilt worden.

© SZ vom 10.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: