Klaus Doldinger in Starnberg:Triumph des Altmeisters

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Jazz hält jung: Klaus Doldinger in der Schlossberghalle. (Foto: Franz X. Fuchs)

Klaus Doldinger und "Passport" bescheren der neuen Starnberger Jazzreihe in der Schlossberghalle mit viel Spielfreude und Virtuosität einen mitreißenden Auftakt

Von Gerhard Summer, Starnberg

Wer hat nur die Ansprachen vor dem Konzert erfunden? Alle wollen Musik hören, doch dann entert irgendein Politiker, Konzertmanager oder sonstwie wichtiger Mensch das Mikro und erzählt lauter Dinge, die keiner hören will, jedenfalls nicht jetzt. Schlimme Sache.

Beim Auftakt der neuen Starnberger Jazzreihe in der vollbesetzten Schlossberghalle kam es ein wenig anders. Denn der vom Weißbier beschwingte Veranstalter Manfred Frei entwickelte eine kabarettreife, fahrige Performance, flankiert von seiner Kollegin Irina Frühwirth im türkisen Kleidchen. Das schöne Grußwort, das Bürgermeisterin Eva John geschrieben hat? Kommt "anscheinend von Herzen" - Gelächter. "Ist sie in der CSU? Gut, man weiß es nicht" - Gejohle. Und bevor Klaus Doldinger "frisch wie eh und je" mit Passport rausdurfte, sprach Frei noch darüber, dass seine Reihe sich auch dem Experiment und Crossover öffnen werde. Applaus, Bravo-Rufe, der Mann sollte öfter auftreten.

Aus Freis Sicht dürfte Passport damit die ideale Einstiegsdroge sein, denn diese Band und ihr Chef haben den mit Klangfarben aus aller Herren Länder kolorierten deutschen Jazzrock geprägt und spielen ganz vorne mit, was die stilistische Bandbreite betrifft. Entsprechend abwechslungsreich und spannend ist das Programm. Auf schnelle Nummern folgen Balladen, viele davon so stimmungsvoll, dass sie Filmmusik sein könnten. Neben Songs der neuen CD "En route" wie dem vorwärts treibenden "Seven to four" oder dem funkigen "Infusion Rag" gibt's Ausflüge in die Siebzigerjahre ("Ataraxia") und Abstecher nach Marokko. Dann tritt das Septett zur Hommage an das äußerlich unscheinbare Tausendundeine-Nacht-Hotel "Riyad El Cadi" in Marrakesch an und tanzt auf dem quirligen "Djemaa el Fna", dem Platz der Geköpften. Das "Boot" taucht zum Ende hin auf, den "Tatort" gibt's in der Mörder-sofort-geschnappt-Schnellversion.

Schließlich legt Passport noch einen Blues hin, die Leute klatschen selig mit. Manche Stücke sind ohnehin stilistische Streifzüge und damit ein kontrastreicher Spaß: "Playground Jam" etwa beginnt mit einem Free-Intro, das sich wie Tohuwabohu anhört und in Latin und Django-Reinhardt-Swing mündet. Auch bei den Alleingängen exerzieren die Musiker alle Kombinationen durch: mal nur Schlagwerk, mal Saxofon, Piano und E-Gitarre im Dreigesang, mal Klavier mit Drums, mal Doldinger im Duett mit dem Publikum. Das alles könnte bei anderen Bands drei Trommeln Buntes ergeben. Bei Passport kommt energiegeladener, deftiger Jazzrock und Funk mit hochmelodiösen Themen raus.

Das liegt auch daran, dass Doldingers Musiker in der ersten Liga mitspielen, wo sonst? Wenn Christian Lettner (Drums), Biboul Darouiche und Ernst Ströer (beide Percussion) mit ihrem Solo loslegen, hört sich das an, als ob ein Abrissbagger mit der Präzision eines wild gewordenen Metronoms halb Neuperlach in Schutt und Asche legt. Lettner führt auch vor, wie man Rhythmus in seine Bestandteile auffächern, verbiegen und zu einem irrwitzigen Groove zusammensetzen kann, bei dem er unverschämt lässig über Becken und Toms rast. Patrick Scales (Bass) slappt so explosiv, als gäb's kein Morgen mehr. Sein Bruder Martin (Gitarre) schüttelt genauso wie Michael Hornek (Piano) die irrwitzig schnellen Läufe und Triolen aus dem Ärmel, streut Rock-Riffs ein, versteht sich auch auf klassische Passagen und fetzige Akkordarbeit. Mit seinem dunklen, angezerrten Ton ist er das Pendant zu Doldingers hell klingendem Tenor- und Sopransaxofon. Hornek gibt mit Synthiespielereien und Prog-Rock-Anklängen mehr noch den Vexierkünstler: Wie er eine immer gleich bleibende Melodie immer neu färbt, wabern und zwitschern lässt und dabei Knöpfe dreht und Pedale drückt, das hat was.

Und Altmeister Doldinger? Der Wahl-Ickinger mit 62 Jahren Bühnenerfahrung, den es 1968 fast nach Starnberg verschlagen hätte? In den ersten 20 Minuten wirkt es fast so, als ob der 79-Jährige mit dieser geballten Akrobatik kaum noch mithalten kann. Ohnehin nimmt sich der Bandchef zurück. Er will die anderen gut aussehen lassen. Ein wenig gebückt steht er da, weißes Sakko, graues Haar. In seinen Ansagen erinnert er an Lothar-Günther Buchheim und warnt davor, die Villa Buchheim abzureißen, denn "sie verkörpert das, was Buchheim ausmacht". Zwischendrin setzt er sich schon mal auf einen Stuhl und hört dem Pianisten und dem Gitarristen zu; so was gibt's nur im Jazz, Rocker hören meistens nicht mal sich selber zu.

Aber je länger das zweieinhalbstündige Konzerte dauert, desto deutlicher wird: Martin Scales dudelt auch mal und verbohrt sich in Läufe, Michael Horneck lässt es auch mal nur plätschern. Die markanten, die songdienlichen, die stark am Gesang orientierten Soli aber steuert Doldinger bei. Sein Ton ist groß und kraftvoll, hat Schmelz und Tiefe. Er spielt nicht, was nahe liegt, er spielt, was die Musik braucht. Und gerade wenn es darum geht, seinen Themen Melancholie zu geben, trumpft Doldinger auf. Das muss es also sein: die ideale Balance, das ideale Maß, kein bisschen übertrieben, kein bisschen aufgesetzt. Ovationen.

© SZ vom 02.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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