Starnberg:Sperrige Kunst

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Clea Stracke, Verena Seibt und Olaf Unverzart stellen für die Reihe "nah - fern" in der Schalterhalle des Starnberger Seebahnhofs aus - und sie befassten sich alle mit dem Matterhorn

Von Katja Sebald, Starnberg

Was wäre wenn? Wenn zum Beispiel jemand das Matterhorn in die ehemalige Schalterhalle des historischen Bahnhofs am See gestellt hätte? Buchstäblich sperrige Kunst türmt sich derzeit dort auf: Die beiden Künstlerinnen Clea Stracke und Verena Seibt haben einen mobilen Nachbau des Matterhorns in den Ausstellungsraum gefahren. Es ist ihre Antwort auf ein Bild des wohl meist fotografierten Bergs der Welt, mit dem der Fotograf Olaf Unverzart den Ausstellungsraum bestückt hat. Wer eine gefällige Illustration zum Thema "Reise" erwartet, der wird in der aktuellen Ausstellung im Rahmen der Reihe "nah - fern" enttäuscht.

Der Fotograf Olaf Unverzart zeigt seine Bilder meist in Serien, die auf Reisen entstehen - und am liebsten zeigt er sie in Büchern. "Grundsätzlich sehe ich im Fotobuch die für mich und meine Arbeit passendste Plattform", sagt er. 1972 in Waldmünchen im Bayerischen Wald geboren, studierte er in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Für den bei Prestel erschienenen Bildband "Alp", aus dem das Foto vom Matterhorn stammt, fotografierte er über mehrere Jahre mit einer Plattenkamera alpine Landschaften. Er versteht seine Bilder jedoch nicht als "Reportagen", als Länder- oder Gesellschaftsporträts in traditionellem Sinn. Sieht man einmal vom markanten Gipfel des Matterhorns ab, dann sucht er sich meist Motive, die nicht auf einen bestimmten Ort verweisen: In Starnberg zeigt er einige wenige Fotografien, deren Geschichten der Betrachter allenfalls erahnen kann. Sparsame farbige Akzente in den Bildern könnten ihm als Wegweiser auf diesen "Kopfreisen" dienen. Den Rest kann er sich in den ausliegenden Büchern erblättern.

Ein Berg, eher ein Haufen aus umgestürzten Stühlen auf einem Gabelstapler. Ein großes weißes Tuch verhüllt diese "kleine Katastrophe": Clea Stracke und Verena Seibt verstehen ihre künstlerische Arbeit als Forschungsarbeit, die an realen Räumen und Orten ansetzt, dann aber andere Varianten von Wahrheit zum Vorschein bringt. Was wäre wenn? Ausgehend von dieser Frage stellen sie auf spielerische Weise ein Leben im Konjunktiv nach. Oder aber ein Leben im Wartezustand, wie es beispielsweise ein unbenutztes Zimmer suggeriert, dessen Möbel für besondere Anlässe geschont werden und mit weißen Tüchern verhüllt sind. "Das schlafende Zimmer" haben die beiden Künstlerinnen eine Fotoarbeit betitelt, die sie als Leuchtkastenobjekt im Nebenraum zeigen.

Wie ein riesiger Leuchtkasten wirkt auch ihr "Tor zum Paradies": Den ehemals rückwärtigen, gleis- und seeseitigen Ausgang haben die beiden Künstlerinnen geschlossen, durch die Glastüren strömt aber helles, fast weißes Licht in den Ausstellungsraum. Auch hier dient ihnen die Schnittstelle zwischen Realität und Fiktion als Spielfläche: Mit einer kleinen "Korrektur" an der Welt, wie sie sie vorfinden, schärfen sie den Blick auf die Welt, wie sie sein könnte.

Stuhlknäuel unter weißem Tuch: Verena Seibt (links) und Clea Stracke vor einer ihrer Installationen. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Und schließlich gehen die beiden 1980 und 1982 geborenen Künstlerinnen, die seit der Akademiezeit grundsätzlich gemeinsam arbeiten, noch auf durchaus originelle Weise der Frage nach, ob Kunst sich selbst retten kann: Im abgedunkelten Nebenraum zeigen sie eine Videoarbeit, für die sie die Situation der Schiffbrüchigen auf Géricaults berühmtem Bild "Das Floß der Medusa" aus dem Louvre nachgestellt haben - allerdings mit dem Bild selbst. Genauer gesagt, haben sie einen Posterdruck nach dem Original gerahmt und diesen in den Fluten des Ammersees geworfen. Die Wasserwacht sorgte mit einem Motorboot für den nötigen Seegang und so kommt es, dass die von verlorenen Seelen nun noch einmal in einer Endlosschleife gegen ihren Untergang kämpfen müssen.

Die Ausstellung "Reise" ist bis 15. November, Freitag bis Sonntag, 14 bis 18 Uhr, zu sehen.

© SZ vom 03.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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