Musikgeschichte:Spätes Glück für Dießen

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Carl Orffs Haus ist restauriert worden und darf bald besichtigt werden

Von Gerhard Summer

Ein Ehepaar begibt sich auf Haussuche. Luise Rinser fährt, denn er, Carl Orff, "hatte nie Autofahren gelernt". Wochenlang klappern die beiden 1954 die Liste eines Maklers ab und Vorschläge von Bekannten. Sie besichtigen eine "große, sonderbar billige Villa am Starnberger See", in der zwei Morde passiert sind, ferner die Bernheimer-Villa in Tutzing und noch viele andere teure und günstige Häuser, aber das richtige ist nicht dabei. Bis ihnen Carl Orffs Schwager Alwin Seifert, ein Gartenarchitekt, ein altes Anwesen im Dießener Ortsteil St. Georgen empfiehlt: "einstöckig, mit hohem Giebeldach, die Ecken geschrägt, so dass alle Zimmer wie Erkerzimmer wirkten, ungemein gemütlich", wie es die Schriftstellerin Rinser im zweiten Teil ihrer Autobiografie beschreibt, "Saturn auf der Sonne".

Auf alten Fotos ist das um 1850 erbaute Anwesen noch im ursprünglichen Zustand zu sehen. Doch wer heutzutage an den Ziegelstadel 1 kommt, könnte sich am falschen Platz wähnen, denn Orff und Rinser ließen das Haus mit der langen Zufahrt und einem Nebengebäude gründlich umbauen und auf den Stil der Fünfziger trimmen. Inzwischen sind das Gebäude und sein Inventar zu großen Teilen wieder saniert und restauriert, seit 2014 hat die vormals in Raisting angesiedelte Carl-Orff-Stiftung dort ihren Sitz. Und bald sollen auch Besucher sehen können, wie der berühmte Komponist gearbeitet und gelebt hat. Das zumindest ist das mittelfristige Ziel, wie Dießens Bürgermeister Herbert Kirsch, zugleich Mitglied im Kuratorium der Stiftung, in einer Pressekonferenz sagte: das Anwesen der Öffentlichkeit "zu bestimmten Zeiten" zugänglich zu machen. Er sehe es im Übrigen als Glücksfall an: dass Orffs Arbeits- und Wohnhaus in Dießen erhalten blieben.

Bald sollen auch Besucher sehen können, wie der berühmte Komponist Carl Off in Dießen gearbeitet und gelebt hat. (Foto: Nila Thiel)

Das frisch vermählte Paar hatte das Anwesen mit 30 000 Quadratmeter Land am 29. November 1954 gekauft. Glück brachte es den beiden nicht. Orff, der Womanizer, zog seiner dritten Ehefrau bald die Sekretärin Liselotte Schmitz vor; Rinser wiederum himmelte einen Abt an, den sie M.A. nannte. Die Zwei ließen sich fünf Jahre später scheiden, am 22. Dezember 1959. Rinser zog aus, Schmitz zog ein und wurde 1960 die vierte Ehefrau des Komponisten. Bei Rinser liest sich das so: "Praktisch stürzten wir uns Hals über Kopf in Schulden. Als sie abbezahlt waren, drängte mich das neue Paar hinaus. Buchstäblich".

In Orffs Haus in Dießen sind auch Trommel und Schlagwerke gesammelt. (Foto: Nila Thiel)

Die Autorin fühlte sich in Dießen einzig in ihrem Arbeitszimmer daheim, wie sie schreibt. Es liegt im ersten Stock "mit dem Blick auf die beiden alten Bäume", einen Nussbaum und eine Blutbuche, "gegen Süden und im Osten auf den See und das Kloster Andechs". "Da drüben will ich mal begraben werden", soll Orff 1954 gesagt haben. 28 Jahre lang arbeitete und wohnte er in dem Haus. 1982 starb Orff. Seine vierte Frau überlebte ihn um drei Jahrzehnte.

Carl Orffs Haus ist restauriert worden. (Aufnahme aus dem Buch "Carl Orff. Fotodokumente 1978-1981" von Hannelore Gassner) (Foto: Nila Thiel/Repro)

2013 begann die Restaurierung des Gebäudes, finanziert durch die Stiftung, die hohe Tantiemen aus den weltweiten Aufführungen von Orff-Werken bezieht. Mehr als eine Millionen Euro hat die Aktion laut Kirsch bislang verschlungen, ein paar Hunderttausend Euro werden wohl noch draufgelegt werden müssen. Die größte Position war Kirsch zufolge die Sanierung des Arbeitshauses. Unter anderem stellte sich heraus, dass es kein Fundament gibt - die Gebäude stehen auf Lehm. In Orffs Arbeitszimmer gingen die Restaurateure besonders sorgfältig vor: Sie machten Fotos von allen Regalen, konservierten jede Partitur, jedes Notenheft und jedes Buch fachgerecht und stellten und legten alles wieder zurück. Der bloße Dachstuhl über dem etwa 40 Quadratmeter großen Raum musste gedämmt und eine Wand trocken gelegt werden, an der vorher Bücher verschimmelt waren. Inzwischen ist alles wieder an seinem Platz: der alte Bechstein-Flügel, an dem Orff komponiert und schwer gearbeitet hat, was sich laut Kirsch an den angegriffenen Hämmern zeigt. Die Mineralien- und Steinsammlung auf dem Fensterbrett, zu der etliche Besucher beigetragen haben. Orffs Pfeifen und sein Federkiel. Eine Sanduhr, Geigen, ein Klavier. Und Schlaginstrumente wie Barockpauke, Taikos, Darbukas und eine japanische Odaiko, die im "Prometheus" vorkommt.

Was Orff las und studierte? Neben Werken von Orlando di Lasso, Bach, Händel, Mozart, Haydn, Beethoven, Liszt und Wagner finden sich die Andersen-Märchen genauso wie Catulls Gedichte. Sogar der alte Mercedes des gebürtigen Münchners, der neben "Carmina Burana" Märchen wie "Die Kluge", Komödien wie "Astutuli" und Welttheater-Stücke wie "Antigonae" und eben "Prometheus" geschaffen hat, glänzt angeblich wieder wie in alten Zeiten: ein weißer 280 SE mit Drei-Gang-Automatik. Allerdings steht der Wagen, mit dem sich Orff chauffieren ließ, nicht am Ziegelstadel, sondern sicher verwahrt in einer Garage. Das rustikale Arbeitszimmer mit Deckenbalken sieht fast so aus, als habe ihn das von Dämonen getriebene Genie, das so gern die Leute foppte und laut Rinser der beste Interpret seiner Werke war, nur mal kurz verlassen, um Dirigenten und Regisseure zu empfangen. Um heute zu einer Klangprobe mit Carlos Kleiber in München und morgen zu einem Konzert mit Leopold Stokowski in Stuttgart aufzubrechen. "Pausenlos Arbeit, pausenlos Besucher, Reisen, Post", notiert Luise Rinser 1955 in ihr "Tagebuch-Kalenderchen". War sie, die Carl Orff nicht vor seinen Depressionen retten konnte, verbittert nach den Jahren in Dießen, der Scheidung, dem Rausschmiss? Ja und nein, Luise Rinser schreibt: "Was zwischen C.O. und mir blieb, ist eine geheimnisvolle Bindung."

Erste Gelegenheit, das Arbeitszimmer des Komponisten zu besichtigen, ist am 21. Mai, dem Internationalen Museumstag. Interessenten müssen sich für den Spaziergang "Von Orff zu Orff" (vom Museum an der Hofmark 3 zum Wohnhaus) unter Telefon 08807/91981 anmelden.

© SZ vom 15.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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