Gesundheitsreform:"Das kann kein Mensch wollen"

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Der 10. Starnberger Seniorentag in der Schlossberghalle war gut besucht. (Foto: Arlet Ulfers)

Auf dem 10. Starnberger Seniorentag diskutieren Experten über neue Chancen in der medizinischen Versorgung, warnen aber vor Irrwegen und Geldnot.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

Wird die Geburtshilfe outgesourct? Wie schnell kann ich im Notfall im Krankenhaus sein? Die anstehende Gesundheitsreform löst bei vielen Menschen Ängste aus, ob sie im Krankheitsfall noch gut versorgt werden. Dies zeigte die Diskussion zum Thema "Gesundheitswesen im Umbruch: Desaster oder Chance" auf dem Starnberger Seniorentag am Samstag in der Schlossberghalle, die sehr gut besucht war. "Es ist wie bei der Titan, die zur Titanic wollte. Das kann kein Mensch wollen", beurteilte Professor Manfred Cassens von der Hochschule für Ökonomie und Management die derzeitige Situation.

Der Trend im Gesundheitswesen geht zu Großkliniken mit mindestens 500 Betten. Doch dann könne es passieren, dass Notfallpatienten bis zu 60 Kilometer in die nächste Klinik gefahren werden müssten und dies womöglich nicht überlebten, sagte Starnbergs Landrat Stefan Frey. Auch in seinem Landkreis steht ein Umbruch bevor. Wie er ausführte, sind die Starnberger Kliniken derzeit auf vier Häuser aufgeteilt, eines mit 120 Betten und drei mit je hundert Betten. Nun sollen die Krankenhäuser in Seefeld und Herrsching zu einer Klinik mit 200 Betten zusammengezogen werden. Der Landkreis sei damit noch immer bestens versorgt, denn die Wege zu den Kliniken seien kurz, erklärte Frey, der Planungssicherheit und finanzielle Unterstützung forderte, damit die Kommunen ihren Auftrag zur Gesundheitsversorgung erfüllen können. "Wir stehen vor einem riesigen Unsicherheitsfaktor. Man plant eine Reform ohne Geld."

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Laut Thomas Weiler, dem Geschäftsführer der Starnberger Kliniken, stehen in Deutschland vier Klinikbetten pro tausend Einwohner zur Verfügung, in Starnberg sind es zehn. Das sei eine "extrem hohe Dichte". Dennoch gibt es kein weiter so. Die Lage sei kritisch. Neun von zehn Kliniken arbeiten nach seinen Angaben defizitär. Insbesondere die Notaufnahmen seien mit einer Pauschale von 15 Euro unterfinanziert und die Tariferhöhungen für das Personal nur zu 50 Prozent gegenfinanziert. Man müsse wegkommen von den Fallpauschalen, für die Karl Lauterbach vor 20 Jahren als Gesundheitsreferent verantwortlich gewesen sei. Die Kliniken brauchen seiner Meinung nach eine stabile und der Inflation angepasste Vorsorgefinanzierung.

Zudem leistet sich Deutschland einen sehr hohen Standard. Laut Weiler braucht es nicht zwei Notfallzentren in nur 15 Minuten Entfernung. Für die Notversorgung könnten stattdessen Schlaganfallzentren eingerichtet werden, die von einem Roboter unterstützt werden, der mit einem Spezialisten kommuniziert. Als weiteres Beispiel nannte Weiler Mandeloperationen. In den USA und in manchen deutschen Nachbarländern werden diese ambulant durchgeführt, in Deutschland stationär, um Nachblutungen auszuschließen, die allerdings nur zwei Prozent der Patienten treffen.

Es diskutierten (von links): Professor Manfred Cassens (Hochschule für Ökonomie und Management), Thomas Weiler(Geschäftsführer der Starnberger Kliniken), Ruth Waldmann(Landtagsabgeordnete und stv. Vorsitzende des Ausschusses für Gesundheit und Pflege), Christina Berndt(Medizin-Redakteurin der SZ), Stefan Frey (CSU-Landrat) und Professor Hans-Paul Schobel (Vorsitzender des Ärztlichen Kreisverbandes Starnberg). (Foto: Arlet Ulfers)

Laut dem Vorsitzenden des Ärztlichen Kreisverbands, Professor Hans-Paul Schobel, könnte das Belegarztmodell besser genutzt werden. Dafür müssten eine verlässliche Planung vor Ort sowie neue Versorgungs- und Vergütungsstrukturen entwickelt werden. Dieses Sicherheitsdenken kostet nach Meinung der Landtagsabgeordneten Ruth Waldmann (SPD) nicht nur Geld, sondern auch Personal. Das Mitglied des Gesundheitsausschusses forderte, dass Allgemein- und Spezialversorgung sowie ambulante und stationäre Versorgung besser organisiert werden müssten, und das bei einem effektiveren Kosteneinsatz. Wichtig sei eine Verzahnung.

Der Pflegeberuf werde nur schlecht geredet, so Thomas Weiler

Ob der Mangel an Pflegern mit der Akademisierung durch Bachelor- und Masterstudiengänge behoben werden kann, bezweifelte Cassens. Auch höhere Löhne helfen nicht. Laut Weiler ist der Pflegeberuf bereits jetzt einer der am besten bezahlten Ausbildungsberufe. Der Beruf werde nur schlecht geredet.

Waldmann schlug vor, die Nachqualifizierung von ausländischen Pflegern nicht wie bisher nacheinander, sondern parallel und berufsbegleitend durchzuführen. Frey sprach sich dafür aus, Wohnraum bereitzustellen. Momentan sind im Landkreis Starnberg nach seinen Angaben 1500 ukrainische Flüchtlinge in Privatwohnungen untergebracht. Das Landratsamt sei in Verhandlung mit Vermietern, ob sie diesen Wohnraum eventuell auch für Pflegeberufe zur Verfügung stellen könnten.

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