Starnberg:Sehnsuchtsort oder Gefängnis

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Die "Starnberger Hefte" befassen sich mit abgelegenen Gehöften

Von Katja Sebald, Starnberg

Und wieder einmal ist in diesem kleinstmöglichen Verlagsunternehmen eines jener auf den ersten Blick so unscheinbaren "Starnberger Hefte" erschienen, gerade einmal 75 Seiten umfassend, mit papierdünnem Einband und in einem Kopierladen gedruckt. Man muss sich schon hineinlesen, um diese kleine literarische Kostbarkeit zu erkennen, die der ehemalige Deutschlehrer Ernst Quester mit einem kleinen Kreis von Mitstreitern herausgibt. "Abgelegene Gehöfte", so lautet der Titel der 16. Ausgabe der Starnberger Hefte - und auch der Titel hat es in sich.

"Abgelegene Gehöfte", so hieß auch ein 1948 erschienener Gedichtband von Günter Eich. Und tatsächlich tritt der Lyriker in diesem Heft in Erscheinung: Harald Eggebrecht beschreibt in seinem Essay "Schemen und Gestalten" die Freundschaft zwischen seinem Vater Jürgen Eggebrecht und Günter Eich. Der Vater, so schildert er, habe Günter Eich und seiner Frau Ilse Aichinger jedes Wochenende ein neu entstandenes Kapitel seines Romans "Huldigung der nördlichen Stämme" zur Begutachtung vorgetragen. Diese Freundschaft sei deshalb in dem Buch "unsichtbar enthalten", sie werde "beim Lesen geheimnisvoll wirksam, auch wenn man's nicht weiß".

Unsichtbar enthalten und geheimnisvoll wirksam sind auch die vielfältigen literarischen Querverweise zwischen den anderen Textbeiträgen. Manche von ihnen beziehen sich ganz direkt auf den Titel: So schildern etwa Christine Adler mit ihrer Erzählung "Einödhof" und Inge Geissinger mit ihrem Gedicht über das Landgut "Hartkorten" Orte der Kindheit. Edgar Frank hingegen lässt die Wörter seiner Kindheit noch einmal lebendig werden und beschreibt eine "abgelegene Mundart" - ein letztes Mal vielleicht, denn er hält sich selbst für den "einzigen überlebenden kompetenten Sprecher" dieses mittelbairischen Dialekts mit nordbairischen Einsprengseln, wie er in seinem im Böhmerwald gänzlich abgelegenen Heimatdorf Kaltenbach gesprochen wurde. Es ist eine zwar vordergründig philologische Abhandlung, die aber mit so wundersamen Ausdrücken wie gagitzen, gigitzen und schlifitzen zur melancholischen Erinnerung an längst verstorbene Großmütter und andere Dialektsprecher wird.

Aber nicht immer und nicht für alle sind abgelegene Gehöfte Orte der Sehnsucht. Patricia Czezior etwa wurde für ihre Erzählung "Nordwärts" im vergangenen Jahr im Schreibwettbewerb "Starnberger Undine" ausgezeichnet. Jetzt kann man noch einmal ihre eindrückliche Schilderung des Hofs "am hintersten Ende des Horizonts, wo Himmel und Erde fast eins werden" nachlesen, der seinem Besitzer "in seiner Einsamkeit mehr und mehr zum Gefängnis" wird. Ein Haus, in dem man nicht mehr alle Räume, ja ein ganzes Stockwerk nicht mehr betreten kann, weil sich dort die Geister der Vergangenheit eingenistet haben, wird zur Last, zum Schrecken dunkler Nächte und schließlich auch dunkler Tage.

Und dann vereint dieses Heft noch die Schilderungen von Wanderern, die auf abgelegenen Wegen alles hinter sich lassen wollen und doch alles mitnehmen: So wandert etwa Martin Alexander Siebert geradewegs auf die "Sollbruchstelle" einer komplizierten Freundschaft zu, Roger Schöntag findet in der strahlend schönen bretonischen Landschaft einen strahlenden Atommeiler, Herbert Kreibich beschreibt das "Aquarell vom Tal im Sommer", in dem "jeden Tag wenige Farbpunkte ausgetauscht werden", und Ernst Quester schließlich schildert seine Begegnung mit "Willi" auf einer Wanderung im Jahr 1991 in den Bergen des Adamello.

Ob Idylle oder Einsamkeit, Meer oder Berge, Bolivien oder Böhmerwald, Knöterich oder Quitten, unberührte oder von Zerstörung bedrohte Natur - es ist ein sehr literarisches Heft, aus dessen Seiten es nach Sommer duftet.

Die "Starnberger Hefte" können über den Buchhandel oder direkt unter www.starnberger-hefte.de gekauft werden.

© SZ vom 10.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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