Starnberg:S-Bahnfahrer unter Druck

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Die Toiletten am Bahnhof Nord sind seit einem Jahr geschlossen. Warum eigentlich?

Von Peter Haacke, Starnberg

Wer als S-Bahnreisender mit dringendem Bedürfnis am Starnberger Bahnhof Nord strandet und in der Hoffnung auf Erleichterung nach einer Toilette sucht, wird bitter enttäuscht. Einer Kapitulationserklärung gleich hängt an der Tür schon seit dem Vorjahr die ernüchternde Botschaft: "Sehr geehrte Fahrgäste, die WC-Anlage bleibt wegen Vandalismusschäden bis auf Weiteres geschlossen. Das nächste öffentliche WC befindet sich am Bahnhof Starnberg (See). Wir bitten um ihr Verständnis", so das Bahnhofsmanagement München der Deutschen Bahn "Station & Service AG" (DB). Doch sowohl bei Fahrgästen als auch bei umliegenden Geschäften und der Stadtverwaltung gibt es kaum mehr Verständnis dafür, dass die Bahnhofstoiletten seit nahezu einem Jahr gesperrt sind - nicht zum ersten Mal seit Eröffnung der Station mit gravierenden Folgen für den gesamten Bereich.

Der "Bahnhof Nord ist eine Schmuddelecke", "Starnbergs Bahnhofstoiletten sind unzumutbar" oder "Erneut Kritik an Toiletten" lauten die Überschriften älterer SZ-Beiträge, die sich immer wieder mit der Thematik befasst haben. Der Seniorenbeirat prangerte die unhaltbaren Zustände an, die CSU startete gar eine "Initiative für saubere Bahnhöfe". Zwischenzeitlich schien sich eine praktikable Lösung durch ein "Pfandschlüsselsystem" abzuzeichnen, und auch die Stadtverwaltung versuchte, den Bürgern einen Toilettengang an den Bahnhöfen zu ermöglichen: Zeitweise stand ein Dixie-Klo am Bahnhof Nord, derweil die DB die WC-Anlagen renovieren ließ. Doch inzwischen ist alles wie zuvor: Die Toiletten sind abgesperrt. Und es sieht derzeit nicht danach aus, als ob sich an diesem erbarmungswürdigen Zustand kurzfristig etwas ändern könnte. Unlängst erst kam das Thema erneut auf der Starnberger Bürgerversammlung auf.

Im Starnberger Rathaus stapeln sich seit Monaten Beschwerden von Bürgern, die rund um den Bahnhof Nord nirgendwo ihre Notdurft verrichten konnten. Andere sind weniger zimperlich: Einige erleichtern sich an schwer einsehbaren Ecken rund ums Bahnhofsgebäude, andere bevorzugen eine Hecke. Stechender Uringeruch verrät die beliebtesten Örtlichkeiten, Papiertaschentücher verdecken notdürftig Hinterlassenschaften, die gewiss nicht von Hunden stammen. Selbst in Tiefgaragen und Hinterhöfen finden sich Exkremente. Als Problembereich gilt vor allem ein unansehnliches dunkles Eck am Hintereingang des Bahnhofgebäudes. Beim Autohändler gegenüber vom Bahnhof hat man derweil schlechte Erfahrungen gemacht mit Toilettenbenutzern, deren Besuch allzu nachhaltige Spuren hinterließ. Seither wird genau geschaut, wer das "stille Örtchen" aufsuchen möchte.

Und im Supermarkt gegenüber wird der Schlüssel zu den Kundentoiletten nur noch gegen ein Pfand rausgerückt. Bei vielen Geschäftsleuten im Umfeld des Bahnhofs herrscht Einigkeit: Das Problem fehlender öffentlicher Toiletten wird verlagert, das Terrain rund um den Bahnhof Nord gilt als potenzielles Pissoir.

Doch die Deutsche Bahn AG fühlt sich schlicht nicht zuständig. Auf die Beschwerde einer Mitarbeiterin des Autohändlers, die im April offiziell per E-Mail darüber informiert hatte, dass Fahrgäste seit der Schließung der Toiletten am Bahnhof Starnberg Nord "vermehrt die Toilette des Autohauses aufsuchen", antwortete die DB lapidar: "Sachlage ist folgende: Die Toilettenanlage wird immer wieder Opfer von Vandalismus, sodass entschlossen wurde, die Anlage bis auf Weiteres zu schließen." Eine zeitnahe Wiedereröffnung stehe derzeit leider nicht in Aussicht. Überdies sei die Deutsche Bahn nach Artikel 57 der bayerischen Gemeindeordnung gar nicht verpflichtet, eine Toilettenanlage bereit zu stellen.

"Dies ist Angelegenheit der Kommunen", teilte dazu ein Mitarbeiter vom "Bahnhofsmanagement München" der "Station & Service AG" auf Anfrage mit. Eine Auffassung, über die sich streiten ließe. Denn besagter Passus der Gemeindeordnung erwähnt die Bahn mit keinem Wort, sondern bezieht sich nur auf den "eigenen Wirkungskreis der Gemeinden in den Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit". Dazu zählen unter anderem Einrichtungen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Feuersicherheit des öffentlichen Verkehrs - und eben der "öffentlichen Reinlichkeit". Soll nach Interpretation der Deutschen Bahn heißen: Toiletten sind Sache der jeweiligen Kommune.

In einer aktuellen Stellungnahme teilt ein Bahnsprecher auf Anfrage zum Bahnhof Nord mit: "Die WC-Anlage ist seit 22. Dezember 2015 geschlossen. Grund hierfür sind die hohen Vandalismusschäden. Darunter zählen unter anderem verschmierte Boden- und Wandflächen, demolierte Spülkästen und entfernte Wasserhähne. Die Reparaturen hielten leider nicht lange vor." In Abstimmung mit der Leitung des Bahnhofsmanagements München wurde deshalb entschieden, diese Anlage bis auf Weiteres zu schließen. "Bezüglich einer möglichen Übernahme der WC-Anlage wird das Bahnhofsmanagement auf die Stadt Starnberg zugehen." Wann dies der Fall sein wird, schreibt der Bahnsprecher allerdings nicht; die Stadt rechnet mit einem Termin nicht vor 2017.

Die Bahn fühlt sich nicht zuständig für die seit einem Jahr geschlossene WC-Anlage, die Stadt irgendwie schon - aber bisher zeichnet sich in der misslichen Angelegenheit noch keine Lösung ab. (Foto: Arlet Ulfers)

Die Probleme rund um den Bahnhof Nord sind bekannt. Im Rathaus sei man "sehr bemüht, im Einvernehmen mit der Bahn eine gemeinsame Lösung zu finden", erklärt Stadtsprecherin Lena Choi. Doch die ist derzeit unwahrscheinlich. Zumal die Stimmung zwischen Starnberg und DB schon lange kühl ist. Einer der Gründe für die missliche Situation könnte die unklare Haltung der Stadt im Hinblick auf die Erfüllung des Bahnvertrag sein. Immerhin: Die Bahn wurde am 13. Oktober darüber informiert, dass sich die Stadt Lösungsvorschläge überlegt hat, die man im persönlichen Gespräch erörtern möchte. Allerdings hat sich die Bahn "dazu leider noch nicht geäußert", schreibt Choi.

Um das Problem zu lösen, kann sich die Stadt sogar vorstellen, die Toiletten zu sanieren sowie - wie bereits am Bahnhof See - Reinigungs- und Unterhaltskosten zu übernehmen. Allerdings ist das nur mit Zustimmung der Bahn nicht möglich. Wer sich auf die Suche nach Schuldigen begibt, wird kaum fündig. Die Schäden der Bahn durch Vandalismus gehen jedes Jahr in die Millionen. Allein die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) hat im Vorjahr knapp 1,5 Millionen Euro für die Beseitigung verschiedenster Schäden aufgewendet: Graffiti, aufgeschlitzte Sitze, zerstörte Fahrscheinautomaten, Rolltreppen und Aufzüge sowie Verschmutzungen. Unklar ist, wer seiner sinnlos anmutenden Zerstörungswut freien Lauf lässt. Andererseits fragen sich viele, warum es die DB nicht schafft, Toiletten zu installieren, die dem Vandalismus besser standhalten, ihr Betriebsgebäude in Starnberg angemessen durch Wachpersonal zu sichern oder per Video zu überwachen. Die örtliche Polizei ist nicht zuständig fürs Bahnhofsgebäude, der Vertrag der Stadt mit dem "Kommunalen Ordnungsdienst" längst gekündigt.

Auf der Strecke - oder besser: unter Druck - bleiben derweil Fahrgäste, die mal müssen. Wer den freundlichen Mitarbeiter im DB-Reisezentrum fragt, wo die nächste Toilette ist, bekommt zur Antwort: "Das weiß ich auch nicht." Bei den WCs im Bahnhofsgebäude "tut sich schon lange nichts", sagt er. "Leider." Aber in Feldafing oder Tutzing sei es das Gleiche. 2008 wurde der DB-Schalter in Starnberg als "Reisezentrum des Jahres" ausgezeichnet. Das ist acht Jahre her. Doch selbst beim Bäcker gegenüber gibt es keine Toiletten. Was bleibt, ist ein Armutszeugnis für die Bahn, für die Stadt, das Ansehen Starnbergs - und bestenfalls die kleine Hoffnung auf erfolgreiche Verhandlungen zwischen Stadt und Bahn im Sinne der Kunden und Bürger.

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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