Starnberg:Reichhaltiger Mix

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Glänzend aufgelegt, glänzend abgestimmt: Markus Stockhausen (re.) mit "Quadrivivum" in der Starnberger Schlossberghalle. (Foto: Nila Thiel)

Markus Stockhausens Quadrivivum lässt beim Zuhörer einen inneren Film ablaufen

Von Reinhard Palmer, Starnberg

"Intuitiv" nennt Markus Stockhausen seine Musik. Das drückt schon aus, dass sie nicht an Genres oder Gattungen gebunden ist und auch nicht irgendwo zugeordnet werden will. Was die vier Musiker seines Quadrivium da in der Reihe "All that Jazz@Starnberg" in der fast ausverkauften Starnberger Schlossberghalle zauberten, war schon ein ausgesprochen reichhaltiger Mix, dessen Elemente allerdings eng verknüpft und schlüssig modelliert zu einer Einheit verschmolzen.

Der sogenannten Ernsten Musik entstammten vor allem die strukturellen Konzepte, die meist der Suiten- und Rhapsodie-Form folgten - aber auch dem Prinzip der thematischen Kontrastierung, wie man sie im Grunde in allen Epochen der Musikgeschichte, aber besonders effizient in der Wiener Klassik vorfindet. Letztendlich ist es ein überaus emotionales Element, stille, sinnierend-narrative Passagen, großen hymnischen Gesängen gegenüberzustellen. Oder das Hervorgehen lärmender Kakophonie aus harmoniesüchtigen atmosphärischen Szenarien, zu denen auch jede Komposition letztendlich geläutert wieder zurückkehrt, um ein wohliges, seelentief friedvolles Gefühl zu hinterlassen. Solche Effekte hat sich längst schon die Pop- und Rockmusik angeeignet und sie wirkungsvoll mit weiten Spannungsbögen und satten Kulminationspunkten inszeniert. Auch das fand Eingang in die Musik Markus Stockhausens, zumal mit maßvollem Einsatz der Elektronik eine instrumentale Gestaltungsspanne bis hin zu orchestralen Klangfluten möglich war. Pfeffer bekam das Konzert durch Jazzimprovisationen, aber auch dank Reibungen aus der Neuen Musik.

Was Markus von seinem Vater Karlheinz Stockhausen, dem großen Komponisten, gewiss gelernt hat, ist die maßvolle Dosierung und der Sinn für Proportionen. In dieser Hinsicht kann er sich auch auf seine Mitspieler verlassen, die genau spüren, wann weniger mehr ist. Das Quadrivium ging aus dem 2004 gegründeten Trio Lichtblick hervor, in dem sich der Trompeter und Flügelhornist Stockhausen zusammen mit dem italienischen Pianisten Angelo Comisso und dem Schlagzeuger Christian Thomé kammermusikalisch bis zu symphonischen Dimensionen emporschwang.

Mit dem Cellisten Jörg Brinkmann, der im vergangenen Jahr dazugestoßen ist, gewann die Formation weit mehr, als nur eine zusätzliche Stimme. Denn Brinkmann versteht es, das Cello in vielfacher Weise, teils mithilfe von Elektronik, in Szene zu setzen. Mal verwandelt es sich in einen gezupften Kontrabass, mal wird es zur Gitarre oder zu einem Perkussionsinstrument und immer wieder erklingt es in sonorer klassischer Form. Vor allem aber versteht es Brinkmann, aus seinem Instrument farbenreiche Klänge aus der orientalischen Folklore zu gewinnen, die als Dialogpartner zu Stockhausens Blechbläsern spannungsreiche Wechselwirkungen parat hielten.

Ein zentrales Element der Musik dieser Formation war - meist mit viel Hall und Echoeffekten angereichert - zweifelsohne die Atmosphäre. Vor allem deshalb, weil es in den Kompositionen stets um sehr konkrete Bilder und Vorstellungen ging. Beginnend bei "Our Father" (Vaterunser), in dem die Silben des Gebets in Klänge übersetzt sind, über die sphärischen Höhenflüge eines "Far into the Stars", das orientalisierende "Kult" oder der opulente "Mondtraum" aus "Olivers Abenteuer" bis hin zu "Better world" oder "Warmes Licht". Titel also, die nicht nur ganz bestimmte Stimmungen implizieren, sondern auch einen großen Freiraum für klangexperimentelle Anordnungen öffnen. Die nutzten die vier glänzend aufeinander abgestimmten Musiker aber mit Bedacht und mit großem Gespür für feinsinnige Nuancen und vor allem mit einem ausgeprägten Sinn für weite, sachte fortschreitende Entwicklungen. Was dabei herauskam, war ein innerer Film, so sinnenfreudig wie bei Peter Greenaway und so mystisch wie bei Andrei Tarkowski. Begeisterter Applaus und eine Zugabe ("Encœur").

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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