Oper in Starnberger Schlossberghalle:Quicklebendiger "Bajazzo"

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Immer in Bewegung: Der Laienchor von Oper in Starnberg spielte zugleich das Publikum der Theateraufführung im Stück. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Starnberger Oper gelingt es, Leoncavallos Verismo-Tragödie mit Profis und Laien als bewegendes Bühnenfest zu inszenieren. In der Schlossberghalle überzeugt allen voran Jason Papowitz in der Titelrolle

Von Gerhard Summer, Starnberg

Mit diesem Bajazzo ist nicht zu spaßen. Ganz in Schwarz kommt Canio nach vorne, der Mann, der bald im Clownskostüm stecken wird, und vom ersten Moment an ist klar: Hier steht einer vorm Opernorchester, der am Ende ist. Ein brutaler Kerl, der seine Columbina hart anpackt, klar. Aber auch ein Gezeichneter, zerfressen von Eifersucht und Ehrpusselei. Sein Blick geht ins Nichts. Den Kopf hält er oft wie unter Qualen gesenkt, und als er drauf und dran ist, seiner Frau an den Kragen zu gehen, weil Columbina einen Liebhaber hat, scheint alles Leben aus ihm gewichen zu sein. Wie ferngesteuert bewegt er sich, als sei er nicht mehr von dieser Welt.

Der unglaublich präsente Jason Papowitz in der Doppelrolle als Canio und Clown ist der wahre Trumpf dieser quicklebendigen Starnberger "Bajazzo"-Inszenierung. Vor allem auch, weil der New Yorker es versteht, den Irrwitz dieser Figuren in seiner markanten, mächtigen Tenorstimme zu spiegeln. Sie kann einen scharfen, gefährlichen Unterton haben. Sie flackert in der berühmten Arie "Lache Bajazzo" nervös in die Höhe, und sie kennt die Zwischentöne von Wut und Verzweiflung. Eine Gänsehaut-Interpretation.

Aber dieser Abend hat noch andere Stärken. Regisseur Hugo Wieg geht allem Statischen aus dem Weg, setzt auf Volksszenen und zwingt die Zuschauer schon mal dazu, den Kopf zu verdrehen: Tänzer und Schauspieltruppe kommen von hinten in den Saal, mit einer Columbina, die samt Glitzerhut auf einer Kutsche sitzt. Der Chor, zugleich Publikum der Commedia-dell'Arte-Vorstellung, teilt sich in zwei Gruppen links und rechts von der Bühne auf. Später sitzen Ensemblemitglieder mit Kindern vor der Rampe, auf der sich 25 Umzugskartons zu einem Häuschen stapeln, vor dem das Stück im Stück spielt. Zu sehen sind: Strohhüte allüberall. Frauen in bäuerlichen Röcken, Männer in kurzen Hosen.

Doch Wieg geht es nicht allein um bewegte Bilder und Slapstick im Schaukelstuhl: Es sind die Details, die seine Inszenierung zwischen Realitätsnähe und artifizieller Überhöhung schweben lassen. Als sich Columbina den Tölpel Tonio mit einer Peitsche vom Leib hält, trägt der tatsächlich einen Striemen an der Backe davon. Sie schminkt Bajazzo mit einem kleinen Herzschwamm, obwohl ihr Herz längst Silvio gehört. Und die Tünche reicht auch nur für eine Gesichtshälfte aus, weil sich so viel Elend nicht mehr ganz überdecken lässt.

Wenn es nach Wieg geht, heißt das eigentliche Opfer dieser Tragödie im Übrigen Bajazzo, nicht Columbina. Die schwedische Sopranistin Marieke Wikesjo erreicht nicht Papowitz' Fallhöhe. Aber dafür differenziert sie zwischen Nedda und Columbina aufs Schönste: mal kühl und herzlos, mal sehr dramatisch mit viel Tremolo, mal überdreht komödiantisch. Ihr Liebesduett mit Silvio klingt, als gäbe es gar kein Morgen mehr. Jens Müller (Tonio) ist ein wunderbarer Tölpel, der auch schmierig sein kann. Sören Richter gibt solide den Beppo, nur Hongyz Chen bleibt als Silvio mit schlankem Bariton blass. Warum er im Trenchcoat wie ein Schmalspur-Bogart auftritt? Weil er "Schau mir tief in die Augen" singt? Wäre eine dünne Erklärung. Der mit vielen älteren Sängern besetzte Laienchor wiederum besticht durch Frische und kommt auch mit der räumlichen Aufteilung des Ensembles gut zurecht.

Die heikle Aufgabe, die Balance zwischen Orchester und Sängern zu wahren, fiel dem souveränen Dirigenten Andreas Szcygiol zu. Über weite Strecken funktionierte das. Allein schon, weil es ihm und Wieg gelang, die nur zu drei Viertel besetzte Schlossberghalle in eine sehr passable Opernbühne zu verwandeln. Zuweilen mussten die Sänger aber doch forcieren.

Die Prager Philharmoniker bewegten sich elegant auf Ruggero Leoncavallos stilistischem Fleckenteppich zwischen Wagnerscher Eruption und Burleske und überzeugten mit Klarheit, strahlendem Streicherklang und seelenvollem Spiel. Davon profitierten auch die Orchesterstücke vor der Pause, darunter die Suite aus Leoncavallos Oper "I Medici", eine europäische Erstaufführung. Dem neunteiligen Werk mag der alles zusammenhaltende Bogen fehlen, dafür überzeugt es in seinen Einzelsätzen: einer fein ausbalancierten Elegie etwa, einer Cello-Kantilene und einem Finale mit merkwürdigem Kontrast zwischen ruhigem Orgelsolo und auf höchsten Touren drehendem Orchester. Rauschender Applaus, Bravi für Papowitz und Wikesjo.

© SZ vom 19.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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