Starnberg:Perspektiven aufgezeigt

Lesezeit: 2 min

Seit mehr als 30 Jahren kümmert sich der Verein "Die Brücke" um straffällig gewordene Jugendliche. Intensive Gespräche und Arbeitsstunden in sozialen Einrichtungen helfen den meisten, einen anderen Weg einzuschlagen

Von Katharina Schöbi, Starnberg

Seit mehr als 30 Jahren setzt sich der Verein "Brücke Starnberg" für straffällig gewordene Jugendliche ein. Hier geht es nicht um Schuld, "gerechte Strafe", Vergeltung. Hier geht es darum, es beim nächsten Mal besser zu machen. Die beiden Mitarbeiterinnen, Michaela Fischhaber und Corinna Büge, vermitteln kommunale oder kirchliche Einrichtungen, in denen soziale Arbeitsstunden abgeleistet werden können, bringen Täter und Opfer an einen Tisch und beraten in schwierigen Lebenslagen. Wenn sie erzählen, klingt es nicht nach Arbeit mit jungen "Kriminellen"; es klingt nach jungen Menschen, die überfordert sind mit ihrem Leben und dankbar, wenn sie ernst genommen werden.

"Den Jugendlichen, die zu uns kommen, wurde oft genug gesagt, was sie nicht können. Wir versuchen zu sehen, wo ihre Stärken liegen", erklärt Fischhaber den positiven Ansatz, der in der "Brücke" verfolgt wird. Die 14- bis 21-Jährigen sollen nicht einfach nur ihre Stunden ableisten, sondern später von den Erfahrungen profitieren. Deshalb dürfen sie durchaus auch Wünsche äußern, wenn es darum geht, die passende Einrichtung für sie zu finden. "Was uns besonders freut, ist, dass sich für manche Jugendlichen ganz neue Perspektiven auftun", sagt Gerd Weger, Vorsitzender des Vereins. Damit meint er nicht nur, dass die jungen Frauen und Männer zum Beispiel im Kindergarten oder in der Altenpflege mit anderen Generationen in Kontakt kommen, oder dass sie Arbeitsbereiche kennen und schätzen lernen, die sie vorher gar nicht kannten. Es kommt auch durchaus manchmal vor, dass sie im Anschluss an ihre verpflichtenden Stunden in einer Einrichtung übernommen werden.

Doch gerade wenn Probleme im Elternhaus oder traumatische Erlebnisse zu einer Tat geführt haben, sind andere Lösungen gefragt. Das Jugendstrafgesetz lässt bezüglich der Konsequenzen einer Straftat einigen Spielraum - was den Mitarbeiterinnen der "Brücke" erlaubt, individuell auf jeden Jugendlichen einzugehen und auch neue Methoden anzuwenden. Je nach Weisung des Richters werden Alkohol- und Drogenberatungen angeboten sowie die immer häufiger benötigte psychosoziale Beratung. Auch eine bis zu einem Jahr andauernde Begleitung ist möglich, in der die Jugendlichen zum Beispiel Unterstützung bei der Jobsuche erhalten. Erst seit fünf Jahren gibt es die sogenannte "Leseweisung", in der die Lektüre bestimmter Bücher und die ergänzende Nachbesprechung dazu führen sollen, die eigene Lebenssituation zu erkennen und zu formulieren. "Im Gericht kommt man oft mit wenigen Worten durch", so Fischhaber. Das führt aber dazu, dass tieferliegende Probleme, die nicht selten auch von Konflikten innerhalb der Familie herrühren, gar nicht angesprochen werden müssen. Im sogenannten "Täter-Opfer-Ausgleich" setzen sich die beiden Parteien zusammen an einen Tisch und versuchen, eine außergerichtliche Lösung zu finden - oft reicht am Ende eine ehrliche Entschuldigung.

Das Konzept trägt anscheinend Früchte: Die meisten zugewiesenen Jugendlichen, nämlich zwei Drittel, kommen zum ersten Mal in die "Brücke" - und dann nie wieder, berichten die Mitarbeiterinnen. Bei den Jungen handelt es sich am häufigsten um Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, bei den Mädchen ist es der Diebstahl. Dabei betont Weger: Die 279 Jugendlichen, die im vergangenen Jahr in der "Brücke" betreut wurden, kommen aus allen Gesellschaftsschichten: Von den Schülern gehen die meisten aufs Gymnasium, 84 Prozent sind deutsche Staatsbürger.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: