Starnberg:Lügengespinst

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"Im Spinnwebhaus" von Mara Eibl-Eibesfeldt

"Zauberhaft-märchenhafte Gegenwelt im Mikrokosmos einer alleinerziehenden und völlig überforderten Mutter mit ihren drei Kindern" heißt es im Programmheft des Fünfseen-Filmfestivals über den Film "Im Spinnwebhaus" von Mara Eibl-Eibesfeldt. Wer bei Märchenhaft nur Heiteres und Fröhliches erwartet, wird enttäuscht. Man muss schon mit einigem an Grausamkeit, Bosheit und Unerklärlichem rechne, denn heiter ist hier gar nichts. Hier ist vielmehr die Angst in den Augen von Jonas, dem 12-jährigen Buben, der sich um seine Geschwister kümmern soll. Die Vorlage für den Schwarzweißfilm stammt aus der realen Welt. Die Regisseurin hat in der Zeitung von vier Kindern gelesen, die fast ein Jahr allein gelebt hatten. Das Thema hat sie gepackt, sagt sie.

Gemeinsam mit Drehbuchautorin Johanna Stuttmann entwickelte sie daraus ihre Story. Die ist schnell erzählt: Die Mutter, gespielt von der französischen Schauspielerin Sylvie Testud, die Filmliebhabern bekannt vorkommt - sie hat 1996 in Caroline Links Film "Jenseits der Stille" die Tochter von gehörlosen Eltern gespielt, die Musikerin werden will - ist auf der Flucht vor Dämonen und lässt die drei Kinder allein. Vorher hat sie allerdings noch versucht, sie zum Vater zu bringen (Matthias Koeberlin), der die Familie verlassen hat und auch jetzt nicht bereit ist, sich zu kümmern. Also ist Jonas der Chef, und zunächst macht er das ganz gut. Was nicht so einfach ist, denn der jüngere Nick ist hyperaktiv und aggressiv, er geht auf eine Depperlschule, wie Jonas sagt. Und die kleine Schwester Miechen, vier, versteht nicht, wieso Mama nicht wieder kommt. Mama hat Jonas eingeschärft: Niemand darf wissen, dass sie weg ist, da sie drei sonst ins Heim kämen!

Bald sind die Vorräte aufgebraucht, das Geld auch, und die Verwahrlosung wird offensichtlich. Der Kindergärtnerin erzählt Jonas, die Mama sei krank, darum kümmere sich der Vater nun wieder um sie. Das Lügengespinst wird den Spinnweben im Haus immer ähnlicher, die Verzweiflung des 12-Jährigen immer offensichtlicher. Seine Aufgabe entgleitet ihm, als Miechen sich bei einem Sturz vom Fahrrad verletzt. Er lehnt jede Hilfe ab, denn es darf ja keiner wissen, was wirklich los ist. Als er nachts unterwegs ist, um leere Pfandflaschen einzusammeln, trifft er auf eine dunkle Gestalt, einen jungen Mann, der in Reimen spricht, sich Felix Graf von Gütersloh nennt und den "Kleinen Prinzen" zitiert: "Weil ich dich gefunden, muss ich mich kümmern." Er kümmert sich. Die Kindergärtnerin versucht es, irgendwann kommt der Vater vorbei, doch beide lassen sich beschwichtigen. Kaum zu ertragen! Ein sehenswerter Film, auch weil die Kinderdarsteller so traumhaft sind.

© SZ vom 06.08.2015 / bla - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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