Starnberg:"Wir haben die Chance, es besser zu machen als 1933"

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Nach Veranstalterangaben kamen rund 500 Menschen an die Starnberger Seepromenade, um ein Zeichen für demokratische Grundwerte zu setzen. (Foto: Arlet Ulfers)

Mit einem Lichtermeer demonstrieren mehrere Hundert Menschen an der Seepromenade für demokratische Grundwerte und gegen die AfD.

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

Auf einem Schild ist zu lesen: "Nie wieder ist jetzt". Adam Romoth aus Starnberg hält eine Tafel hoch, auf der steht "Nichts aus der Geschichte gelernt". Er hält es für überaus wichtig, bei der Lichterkette an der Starnberger Seepromenade dabei zu sein, zu der der Verein "gemeinsam.demokratisch.bunt" aufgerufen hat. Die Gefahr des Faschismus sei groß, sagt er. "Da müssen wir einfach dabei sein."

Knapp 500 Teilnehmer sind am Sonntag nach den Schätzungen von Organisatorin und Vereinsvorstandsmitglied Christiane Krinner dem Aufruf gefolgt, gemeinsam für Demokratie und Vielfalt zu kämpfen. Und so wie das Ehepaar Romoth sind viele Teilnehmer der Meinung, dass es ihre Pflicht ist, sich gegen eine Bedrohung für die Demokratie durch extreme Kräfte stark zu machen. Sie stehen da mit Kerzen, LED- oder Handylichtern; manche haben sich eine Lichterkette umgehängt. Zwei Polizisten verfolgen das Geschehen aus der Entfernung, gehen aber schnell wieder weiter, als sie feststellen, wie friedlich die Veranstaltung ist.

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Es wird Musik gemacht und neben Krinner erklären auch einige Teilnehmer, warum sie ein Zeichen setzen wollen. So warnt beispielsweise ein Redner vor patriotischer Hetze. Er sei froh, dass er in einer offenen, toleranten und bunten Gesellschaft leben könne. Ein jüdischer Teilnehmer vergleicht die aktuelle Stimmung mit einem Kanarienvogel in einem Bergwerk. "Wenn er zu singen aufhört, müssen wir handeln", betont er und warnt vor Antisemitismus. Ein junger Mann mit Behinderung ist überzeugt, dass er "kein inkludierter Teil der Gesellschaft mehr" wäre, falls Rechtsextremismus überhandnehme. Er befürchtet, dass er keine Regelschule besuchen könnte, und keine Chance auf dem ersten Arbeitsmarkt hätte.

Eine Asylhelferin erklärt, es sei seine Frage der Menschlichkeit, den Menschen, die nach Deutschland kommen, eine Chance zu geben. Und eine Psychotherapeutin erinnert daran, dass es noch nicht lange her ist, dass Menschen mit psychischer Erkrankung als unwert bezeichnet worden sind. Der Organisator des Starnberger Gedenkmarsches gegen das Vergessen, Rainer Hange, befürchtet ebenfalls eine Wiederholung der Geschichte. Die Gefahr sei gar nicht so weit weg, pflichtet ihm Krinner bei. "Wir haben die Chance, es besser zu machen als 1933", hatte sie zuvor in ihrer Rede erklärt, in der sie zu keinem Zeitpunkt den Namen der AfD erwähnte.

Rainer Hange befürchtet ebenfalls eine Wiederholung der Geschichte. (Foto: Arlet Ulfers)
Organisatorin Christiane Krinner sieht im Aufschwung der AfD Parallelen zur politischen Situation vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933. (Foto: Arlet Ulfers)

Sie sprach grundsätzlich nur von einer "blauen Bewegung" oder einer "blauen Partei", die dem Land ungeheuren Schaden zufüge. "Nazikeule? Mittlerweile kann jeder wissen, wofür die Tiefblauen stehen. Wir haben viel zu verlieren", betont sie und weist auf Netzwerke hin, die "tatsächlich einen Umsturz" planten. Sie wollten zurück zur Erziehung nach dem Motto des Dritten Reichs "hart wie Kruppstahl". Frauen sollten zurück zum Herd und möglichst viele deutsche Kinder bekommen. "Das hatten wir schon einmal und es ist nicht gut ausgegangen", betont sie unter dem Beifall der Teilnehmer. Die Gefahr hält Krinner für real vor dem Hintergrund, dass Lehrpläne zugunsten "positiver Anknüpfungspunkte" umgeschrieben werden sollen, damit die Geschichte Deutschlands "angemessen und unverfälscht" dargestellt werde. Sie findet es erschütternd, wenn Schuldige gesucht werden, anstatt nach Lösungen zu suchen, erklärt sie ihr Engagement gegen Rechtsextremismus. Sie selbst sei stolz auf Deutschland und seine Erinnerungskultur, die weltweit beachtet und gelobt werde. "Wir haben gelernt! Wir lassen das nicht noch einmal geschehen! Nie wieder ist jetzt."

Am Ende werden die Teilnehmer aufgerufen, sich mit ihren Lichtern am Seeufer entlang aufzustellen. Die mehrreihige Menschenkette reicht vom Undosa bis zum Ruderverein MRSV.

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