Starnberg:Kurze Wiederbelebung

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Asyl im Geisterhaus: Kulturmanagerin Elisabeth Carr, Autor Gerd Holzheimer und Barbara Beck vom Landratsamt (v.li.) in dem verlassenen Lokal. (Foto: Franz Xaver Fuchs)

Der Literarische Herbst kommt ins Gasthaus Obermühltal

Von Gerhard Summer, Starnberg

Dieses Wirtshaus muss fluchtartig verlassen worden sein. Auf dem Tresen stehen noch trübe Gläser, im Aschenbecher krümmen sich alte Kippen. In den oberen privaten Räumen finden sich Schuhe im Regal, Socken auf dem Fensterbrett und eine Winterjacke, auf einem Tisch liegt die Silvester-Ausgabe 2009 der Abendzeitung mit den "Menschen des Jahres" nebst einer Vase mit Plastikblumen. Es riecht nach Moder und kaltem Rauch, einzig die Preise, die auf einer ausgehängten Liste stehen, sind fast wie von heute: 21 Euro für das T-Bone-Steak, 5,50 Euro für die Zwiebelsuppe.

Seit fast sieben Jahren gammelt das Gasthaus Obermühlthal vor sich hin. Die vormals orange-gelben Markisen sind verwittert, der große Biergarten ist verwildert, Efeu und wilder Wein umranken das schmucke Geisterhaus mit den kleinen aparten Wirtsräumen und der blassgelben Fassade. Die letzten Pächter müssen sich Ende 2009 von einem Tag auf den anderen aus dem Staub gemacht haben, in den Gefriertruhen stapelten sich damals angeblich noch die Vorräte. Denn das Geschäft lief immer schlechter. Einstmals hatte die S-Bahn Hunderte von Ausflüglern am Waldrand abgeladen, der Gasthof galt als beliebtes Ausflugsziel. Doch mit der Stilllegung des Bahnhofs Mühlthal am 12. Dezember 2004 war es bald vorbei mit dem Andrang, irgendwann verirrten sich nur noch hartnäckige Gäste in das pittoreske Wirtshaus am Rande der Gleise.

Zumindest für ein paar Stunden soll nun das verwunschene Lokal wieder wachgeküsst werden: Elisabeth Carr und Gerd Holzheimer haben sich den Gasthof als einen der Schauplätze ihres Literarischen Herbstes auserkoren, einer Reihe, die gern dem abseitigen Ort Reverenz erweist. "Die Sehnsucht nach dem Ausflug" heißt der Abend mit der Performerin Judith Huber und dem Jazzgeiger Max Grosch. Auf dem Programm stehen Texte von August Kühn, der mit seiner Familiensaga "Zeit zum Aufstehn" eine Art proletarische "Buddenbrooks" geschrieben hat, und eine Geschichte von Herbert Rosendorfer, die sich darum dreht, dass ein Wirtshaus zum Bordell wird. So weit ist das nicht hergeholt: Laut Carr hätte das "Rotlichtmilieu" Interesse an dem alten Schuppen, "die wären am unkompliziertesten und würden ein paar Rigipswände einziehen". Aber aus verständlichen Gründen finde das der Eigentümer des Gasthofs weniger gut: der Würmtal-Zweckverband, der die Immobilie Anfang der Neunzigerjahre von der Schlossbrauerei Kaltenberg erworben hatte, um die Trinkwasserquellen in dem Gebiet zu sichern.

Tatsächlich verfolgt der Verband seit Jahren andere Pläne: Er will das verfallende Gasthaus sanieren, wieder zum Leben erwecken und ein tragfähiges Konzept entwickeln, wie der stellvertretende Geschäfts- und Werksleiter Josef Mittermayr sagt. Das Ziel: "sinnvolle Gastronomie mit ergänzender Nutzung". Was Tagungen, Feste in einem größeren Saal oder Übernachtungsmöglichkeiten bedeuten könnte. Das Projekt ist komplex, weil es mehrere Hürden gibt: Untersuchungen ergaben, dass Zimmer und Saal "nicht mehr in die heutige Nutzungslandschaft passen". Die Gäste allein mit der Wirtschaft anzulocken, werde auch nicht mehr funktionieren. Erweiterungen aber sind planungsrechtlich problematisch und "werden sehr restriktiv gehandhabt", weil das Areal im Außenbereich liegt. Ohnehin will der Verband kein Riesentagungshotel hinklotzen, weil er sich damit selbst ins Fleisch schneiden könnte. Schließlich will er die Mühltaler Quellen in 300 Meter Entfernung schützen. Hinzu kommt: Die Organisation ist keine Gastronomiegesellschaft, sondern für Wasser und Abwasser zuständig. Und schließlich: Das Ganze soll "kein Zuschussbetrieb werden". Laut Christine Borst, der Verbandsvorsitzenden und Kraillinger Bürgermeisterin, ist deshalb eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben worden, derzeit verhandle man mit der Regierung von Oberbayern. Der Stadt Starnberg sind die Ergebnisse bereits vorgestellt worden, so Mittermayr. Ihm zufolge gibt es drei Szenarien: "eine Extremerweiterung, eine marginale Erweiterung und eine mittlere Erweiterung mit anderen Nutzungsmöglichkeiten". Er hofft, dass der Verband die grundsätzlichen Fragen heuer lösen und 2017 konkrete Pläne entwickeln kann. Das größte Problem sei das Planungsrecht, "da gehört der politische Wille des Landratsamtes, der Stadt Starnberg und der Regierung dazu". Die Bahn dazu zu bewegen, die S-Bahn-Station an den Wochenenden wieder anzufahren, könnte ebenfalls schwierig werden. Wie Mittermayr sagt, gibt es aber den "Gedanken, mit der Bahn in Verhandlungen einzutreten".

Damit klar ist, dass die Nutzung des Lokals beim Literarischen Herbst eine einmalige Sache ist, wird es in Obermühlthal Anfang Oktober karg zugehen: Es gibt nichts zu essen und nichts zu trinken, die Toiletten dürfen nicht benutzt werden. Immerhin lüften Carr und Holzheimer vorher durch.

© SZ vom 10.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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