Tierheim Starnberg:Komplett ausgebucht

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Das Tierheim ist zur Ferienzeit so voll wie noch nie. Leiterin Christine Herrmann teilt sich ihr Büro mit Eichhörnchen, Siebenschläfern, Spatzen und Frettchen. Abends nehmen die Pfleger sogar Tiere mit nach Hause, um sie aufzupäppeln

Von Carolin Fries, Starnberg

Christine Hermann teilt sich ihr Büro momentan mit acht Eichhörnchen, zwei Igel-Babys, zwei Siebenschläfern, zwei Spatzen, einem Frettchen und natürlich ihrer Dogge Sirius. Im Badezimmer um die Ecke planschen zwei Gänsesäger in der Wanne, die Duschkabine ist von einer Wasserschildkröte belegt. Egal welche Tür man in diesen Tagen im Starnberger Tierheim öffnet: Die Käfigboxen stapeln sich bis unter die Decke. "Im Sommer ist immer viel los", sagt die 54 Jahre alte Leiterin der Auffangstation. "Aber so schlimm war es noch nie."

Das liegt unter anderem an den heißen Temperaturen der vergangenen Wochen. "Die Muttertiere finden nichts zu trinken und sterben, die Jungtiere landen erst auf der Straße und dann bei uns", sagt Hermann. Jimmy zum Beispiel, das nur handtellergroße, etwa eine Woche alte Eichhörnchen-Baby, das in einem Handtuch-Nest in einer kleinen Plastikbox schläft. Und auch die zwei winzigen Igel, die in diesen Tagen ihre Augen öffnen, haben mit großer Wahrscheinlichkeit ihre Mutter verloren - womöglich ist sie verdurstet, vielleicht wurde sie überfahren.

Igel-Babys gehören auch zu den Gästen im Tierheim.

Christine Hermann kümmert sich zusammen mit ihrem Team um die Neuankömmlinge.

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(Foto: Fotos: Franz Xaver Fuchs)

Tierheim-Mitarbeiterin Tania Wieber betreut auch die ganz jungen Tieren.

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(Foto: Franz Xaver Fuchs)

Eichhörnchen- und Igel-Babys brauchen alle paar Stunden Futter.

Alle paar Stunden müssen die Jungtiere, wie auch die beiden erst wenige Tage alten Siebenschläfer, die verwaist auf einem Dachboden gefunden wurden, mit Ziegenaufzuchtmilch gefüttert werden. Es sind nur ein paar Milliliter pro Mahlzeit, doch die braucht es konsequent, um die Tiere zu päppeln, auch in der Nacht. Die Tierpfleger nehmen die Boxen mit den kleinsten Neuankömmlingen deshalb über Wochen jeden Abend mit nach Hause und morgens wieder mit an den Arbeitsplatz. Sie stellen sich nachts den Wecker, mitunter zweimal, um die Fütterung keinesfalls zu verschlafen. "Das müssen sie natürlich nicht", sagt Hermann. Doch dann dürften sie diese winzigen Geschöpfe gar nicht aufnehmen. Wenn schon, denn schon.

Also wer kümmert sich um "Mona", das erst drei Wochen alte Katzenbaby, das mutterseelenalleine von Spaziergängern in Frieding gefunden wurde? Die 20 Jahre alte Auszubildende Steffi Reindl zögert. Das Kätzchen entpuppt sich als Problemfall, weil es die mit Fencheltee angerührte Katzenaufzuchtmilch nicht verträgt. Hermann redet ihr gut zu, drängt die junge Frau aber nicht. "Bis heute Abend ist ja noch Zeit." Irgendjemand wird sich schon finden.

Es hat sich immer irgendjemand oder irgendwas gefunden. In den Sommerferien aber ist es besonders schwierig, auch wenn es bereits Zusagen für "Tier-Adoptionen" gibt, wie Hermann erfolgreiche Vermittlungen nennt: "Erst wollen die Leute halt noch in Ruhe in den Urlaub fahren." Auf der Internetseite und auf dem Anrufbeantworter weist Hermann deshalb seit Wochen darauf hin, dass man keinem Tier mehr einen Platz anbieten könne. 53 Katzen, 28 Hunde, knapp 200 Wild- und Kleintiere wie Mäuse, Kaninchen, Schwäne, Sittiche und Meerschweinchen - das ist mehr als genug für den ferienbedingt obendrein reduzierten Mitarbeiterstamm von sieben Vollzeitkräften und einer Teilzeitkraft. Bis zum Ferienende gelte es durchzuhalten, dann ist zumindest kurzfristig mit Entlastung zu rechnen - bevor die Katzen und Wildtiere ihren zweiten Wurf haben. "Als ich anfing, war das Katzenhaus auch mal leer, von den Hunden nur die Hälfte da", erzählt Hermann. Das wäre heute nicht mehr vorstellbar. "Ein Glück, dass wir unsere ehrenamtlichen Helfer haben." Etwa 30 Frauen und Männer helfen unentgeltlich mit, gehen mit den Hunden spazieren, räumen auf, waschen die Handtuchberge.

Kurzfristig wird es im Herbst wohl weniger werden mit der Arbeit. Ein paar Boxen und Käfige wird die Tierheilpraktikerin leer aus ihrem Büro räumen können. Doch ein Grundproblem bleibt bestehen, selbst wenn der Regen den Tieren die Pfützen wieder gefüllt hat und die Familien aus dem Urlaub zurück sind und den reservierten Hund abholen. Denn der Mensch habe sich in seiner Beziehung zum Tier verändert, sagt Hermann. Er sei immer weniger bereit, Zeit und Energie zu investieren. "Tiere werden immer schneller abgegeben." Weil sie nicht wie erwartet funktionieren. Nicht wie erhofft verschmust und zutraulich sind, zu laut am Balkon bellen, mehr Geduld und Verständnis brauchen, als ihr Halter zu geben bereit ist. Hinzu kommt die demografische und gesellschaftliche Entwicklung: Beim Umzug ins Altenheim oder einer Trennung werden die bis dahin geliebten Tiere zum Problem, das irgendwie gelöst werden muss. In manchen Fällen wünscht sich Hermann, besser Nein sagen zu können. Doch dann sagt sie doch zu, wie letzte Woche, als der Tierschutzbund in Bayern eine illegale Zucht für Kampfhunde aufgelöst hat und Plätze für 13 Kangal-Hirtenhunde gesucht hat. "Simba" wohnt seither in einem Zwinger in Starnberg. Seine Ohren sind verstümmelt, um gegnerischen Hunden keine Angriffsfläche zu bieten. "Ein toller Hund", schwärmt Hermann. Vielleicht klappt es beim nächsten Mal mit dem Nein.

© SZ vom 11.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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