Starnberg:Gluck und Glück

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Tanz verdeutlicht die Handlung: Studenten der Ballettakademie Benedict-Manniegel bei der Probe. (Foto: Peter Werner)

Oper in Starnberg gibt "Orpheus & Eurydike"

Von Gerhard Summer, Starnberg

Als Sänger ist Orpheus natürlich göttlich, aber als Mann an der Seite seiner Eurydike? Gut, Schwamm drüber. Wenn er ihr endlich gegenüber steht, ist er eher der unaufmerksame Durchschnittsmann und will im Grunde gar nicht so genau wissen, wie es ihr geht. Dabei bräuchte er nur ein klein wenig Einfühlungsvermögen: Eurydike kommt gerade aus dem Hades, schon klar, dass sie noch gar nicht so richtig angekommen ist in dieser Welt jenseits von Furien und Höllenhund.

Man könnte auch sagen: Orpheus steht hilflos daneben, sobald seine Fantasie Gestalt annimmt. Und vielleicht muss das auch so sein. Denn was wäre, wenn Orpheus und Eurydike tatsächlich eine alltägliche Beziehung führen würden mit all den sich einschleichenden Streitereien über Kindererziehung und ungleich verteilte Aufgaben im Haushalt. Womöglich musste er die Nymphe verlieren, um seine göttliche Kunst zu behalten, wer weiß.

Natürlich, das ist eine Theorie, wie die Münchner Regisseurin Ada Ramzews sagt. Aber genau diesem leichten Zweifel, ob das Glück der beiden wirklich halten würde, geben sie und der künstlerische Leiter und Dirigent von Oper in Starnberg, Andreas Sczygiol, in ihrer Fassung von Christoph Willibald Glucks "Orpheus & Eurydike" Gestalt und Klang. Eigentlich gibt es bei Gluck ein Happy End im Gegensatz zum griechischen Mythos. Aber am Ende steht doch ein zart angedeutetes Fragezeichen im Raum, auch wenn einem strahlendes "D-Dur um die Ohren geblasen wird", wie Sczygiol sagte. Was sich auch mit Ramzews' Choreografie erklären lässt. Sie hat nämlich einen getanzten Prolog und Epilog für das in der französischen Fassung gespielte Werk geschaffen - die puristische Version des Seligentanzes aus dem Elysium, der so berühmt ist wie der Furientanz. Und sowohl Auftakt als auch Finale haben ihr zufolge genau diese Zartheit und die Melancholie, die einen darüber nachdenken ließen, ob die Geschichte wirklich so gut ausgeht.

Dass sich Oper in Starnberg heuer als dritten Streich das Werk des Vorklassikers Gluck ausgesucht hat, geht auf Geldprobleme zurück: Die ursprünglich geplante "Zauberflöte" war einfach nicht zu finanzieren. Letztlich könnte das aber ein Glücksfall sein. Denn zum einen ist die Inszenierung vielleicht noch ein stärkerer Kontrast zum "Bajazzo" von 2015, als es Mozarts vielstrapaziertes Werk gewesen wäre. Zum anderen grenzt es an eine Sensation, dass dieses junge Unternehmen die Pariser Fassung der Oper gibt. Denn diese Version ist laut Sczygiol so gut wie nie live zu hören, weil die Partie des Tenors sehr lang und mit ihren vielen Spitzentönen ohne Pause auch extrem schwer sei. Für Eric Vivion-Grandi ist das Ganze um so mehr ein Höllenritt, weil sein Vorgänger abgesagt hat, er erst vor kurzem eingesprungen ist und die Partie neu lernen muss. Und schließlich erwartet die Operngänger eine psychologisch ausgefeilte Interpretation, die "direkt ins Herz" gehen soll, so Ramzews.

Die Regisseurin, die Glucks Oper schon vor zwei Jahren mit Sczygiol im Münchner Gasteig gezeigt hatte, setzt nämlich auf radikalen Purismus im Sinne des Komponisten. Es gibt weder große Bühnenausstattung noch aufwendige Kostüme, einzig eine ausgefeilte Lichttechnik. Gesang und Ballett stehen im Vordergrund, das Orchester bleibt hinter Gobelin-Tüll auf der hinteren Bühne mehr oder minder verborgen. Und den Tänzern kommt in den vom Tempo her freien Rezitativen die Aufgabe zu, das Innenleben der Sänger darzustellen und die Handlung zu verdeutlichen.

Die Titelrollen sind deshalb doppelt besetzt: Martyna Cymerman (Sopran) und Vivion-Grandi singen Euridike und Orpheus, Martina Wimmer und Benjamin Birkner tanzen sie. Einzig Amor (Mezzosopranistin Agata Kornaga) hat kein choreografiertes Pendant. "Wir müssen mutig sein, wir zeigen alles pur", sagte Ramzews dazu. Denn wer zur Essenz kommen wolle, müsse sich nun mal entblößen. Neben Sczygiols bewährtem Vokalensemble Fünfseenland und einem Projektchor ist diesmal ein mit Profis besetztes Ensemble mit dabei, das sich das "Orchester von Oper in Starnberg" nennt. Die Tänzer kommen von der B&M Dance Company, außerdem wirken Studenten der Ballettakademie Benedict-Manniegel mit.

Für "Orpheus & Eurydike" gibt es noch Karten (089/ 54818181). Premiere ist am Donnerstag, 23. Juni, die zweite Aufführung folgt am Freitag, 1. Juli. Beginn ist jeweils um 19.30 Uhr.

© SZ vom 16.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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