Starnberg:Geballte Poesie

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Der Anti-Schwertkampf-Film "The Assessin"

Von Matthias Pfeiffer, Starnberg

Vor dem Genuss dieses Films lohnt es sich wirklich, die Handlung aufmerksam durchzulesen. Und ehrlich: Nach dem Verlassen des Kinos ist es nochmals nötig. Der taiwanesische Regisseur Hsiao-Hsien Hou macht es einem mit "The Assassin" wirklich nicht leicht. Trotzdem ist es ein Film, den man unbedingt gesehen haben sollte.

Die Handlung orientiert sich lose an einer Erzählung aus dem neunten Jahrhundert. Im Mittelpunkt der vielschichtigen Handlung steht die junge Nie Yinniang (Shu Qui). Als Kind wurde sie aus ihrer Heimat entführt und über Jahre von einer Nonne zur Auftragsmörderin ausgebildet. Mit einem Auftrag kehrt sie nun zurück: Sie soll den Gouverneur Tian Ji'an (Chen Chang) beseitigen, der sich inzwischen gegen den Kaiser gestellt hat. Für sie ist es mehr als ein gewöhnlicher Job: Der Gouverneur ist ihr Cousin, dem sie damals zur Ehe versprochen wurde. Nie Yinniang bewegt sich nun zwischen Vergangenheit und Gegenwart, ihrem Auftrag und verbotenen Emotionen.

Natürlich ist das alles stark runtergebrochen. Vor allem die dicht verwobenen Familienbande lassen sich oft nur mit Mühe aufdröseln. Trotzdem verlässt man das Kino nicht mit rauchendem Kopf. Trotz aller Komplexität schwebt die Story irgendwie vorbei, liegt mehr wie ein Nebel über dem Film. Hsiao-Hsien Hou legt in seiner Geschichte viel Wert auf Details, die oft nur dem aufmerksamen Zuschauer wirklich bewusst werden. Bekommt man die aber erst mal zu greifen, ziehen sie einen mitten in einen unwiderstehlichen Sog.

Das beginnt schon bei der Geräuschkulisse. Deutlich hört man jedes Mantelrauschen und Astknacken. Wenn Schwerter oder Dolche aus der Scheide gezogen werden, ist der Klang so intensiv, als stünde man direkt neben den Protagonisten. Dazu kommt die beeindruckende Detailverliebtheit der Kulissen und Requisiten. Kleine Einzelheiten können die Aufmerksamkeit dermaßen bannen, dass der Rest des Bildes fast vergessen wird. Die Wirkung entfaltet sich vor allem durch das ruhige Tempo von "The Assassin". Hsiao-Hsien Hou erzählt seine Geschichte in minutenlangen Einstellungen, oft ohne Schnitt oder große Kamerabewegungen. Wer also ein rasantes Martial-Arts-Spektakel erwartet, wird erst mal vor den Kopf gestoßen.

In seinen Motiven bedient sich der Film natürlich trotzdem des Wuxia-Genres, also des chinesischen Schwertkampf-Films. Zumindest was die Geschichte und die Charaktere angeht. Diese Motive spinnt "The Assassin" jedoch weiter und baut auf diesem Grundgerüst eine komplett eigene Art, das Gewohnte zu erzählen und darzustellen. Wunderbar deutlich wird das in einer Dialogszene zwischen Tian Ji'an und seiner Frau (Zhou Yun), in der immer wieder ein Seidenvorhang durchs Bild weht. Was in Hollywood höchstens ein Unfall wäre, wird hier zum Stilmittel, das der Szene eine einzigartige und schwer zu formulierende Ästhetik verleiht.

Auch die eher rar gesäten Schwertkämpfe folgen der unkonventionellen Linie. Beim Martial-Arts-Film bilden sie das Herzstück, hier ziehen sie schnell vorbei, finden auch außerhalb der Kamera oder schwer erkenntlich hinter Bäumen statt. Sie fügen sich passend ein in das meditative Ganze, bilden also keinen hektischen Fremdkörper. Natürlich ist "The Assassin" ein fordernder, für einige Besucher vielleicht sogar überfordernder Film. Der Versuch, alles sofort verstehen zu wollen, sollte aber nicht im Vordergrund stehen. Wenn man genau hinsieht und -hört, wird man mit der geballten Poesie dieses Werks belohnt.

© SZ vom 05.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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