Starnberg:Freiheit als höchstes Gut

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Wann darf man an Demenz erkrankten Menschen den Führerschein entziehen? Oder wann brauchen sie einen gesetzlichen Betreuer? Eine Diskussion in Starnberg will Antworten auf diese Fragen geben

Von Sylvia Böhm-Haimerl, Starnberg

Menschen mit Demenz verweigern eine dringend erforderliche ärztliche Behandlung, sie essen verdorbene Lebensmittel oder laufen über die Straße, ohne die Verkehrsregeln zu beachten. Manche fahren sogar noch Auto. Die Grenzen, wann man eingreifen muss, sind fließend. Viele Betreuer und Bevollmächtigte sind daher verunsichert. Das war das Hauptthema bei der Podiumsdiskussion auf dem 5. Gerontopsychiatrischen Fachtag in Starnberg am Mittwoch.

"Ich betreue meine weglaufgefährdete Schwester. Kann ich sie gehen lassen?", fragte eine Besucherin. Nach Angaben des Neurologen und Psychiaters Professor Hans Förstl ist die Umsetzung von rechtlichen Maßnahmen sehr schwierig. Denn auch bei Menschen mit Demenz sei die Freiheit das höchste Gut. "Es muss erst etwas passieren." Er gab den praktischen Rat bei den Nachbarn um Verständnis zu werben oder für den Fall des Falles ein Foto des Erkrankten bei der Polizei zu hinterlegen. Laut Stefan Engelhardt vom Betreuungsverein der Caritas ist der Freiheitsentzug "ein gewaltiger Einschnitt für den Betroffenen." Der Betreuer allerdings steckt nach seinen Erfahrungen in einem Dilemma; denn er haftet. Wie Engelhardt berichtete, kann einem fahruntauglichen Menschen mit Demenz nicht einfach der Autoschlüssel abgenommen werden. "Man kann nicht eingreifen, das läuft über mehrere Behörden", sagte er. Nach Angaben von Albert Huber von der Polizeiinspektion Herrsching kann einem Betroffenen erst nach einem richterlichen Beschluss der Führerschein entzogen werden. Ein weiteres Problem ist laut Huber, dass Menschen mit Demenz leichte Beute sind für Betrüger, wie etwa den Enkeltrick, und gelegentlich sogar Opfer von Gewalttaten im Pflegebereich werden. Eine freiheitsentziehende Maßnahme sei nur bei einer ernsthaften Gefährdung möglich als letzter Schritt, wenn alle anderen Lösungen versagt haben, erklärte Friederike Münster von der Betreuungsstelle des Landratsamtes.

Zwar waren sich alle Diskutanten darin einig, dass die Möglichkeiten zur Prävention im Landkreis besser sind als anderswo. Dennoch habe es "etwas Denunzierendes", wenn sich der Betreuer an die Behörden wende, betonte eine Pflegerin aus dem Publikum. "Ich kann leider nur zuschauen und kriege Kopfweh dabei", stellte eine Besucherin fest. "Pflege ist eine Gratwanderung", sagte Angelika Büschel von der Gerontoberatung im sozialpsychiatrischen Dienst Starnberg (SpDi). Ihre Einrichtung helfe kostenlos mit viel Information und gebe Tipps. Das Ilse-Kubaschewski-Zentrum in Starnberg bietet nach Angaben der Leiterin Barbara Kieslich ebenfalls Beratung und auch Betreuung von Angehörigen an. Man müsse den Angehörigen, die oft jahrelang pflegen, etwas an die Hand geben. "Das sind die nächsten, die krank werden", sagte sie.

Ein weiteres Thema war die Frühdiagnose. Nach den Erfahrungen der Psychiaterin Kristina Bain-Bold kommen ältere Patienten meist mit ihren Angehörigen in die Praxis. Jüngere zwischen 50 und 60 Jahren indes kämen aus Angst, wenn sie selbst feststellen, dass sie vergesslich werden. Laut Förstl kann nichts rückgängig gemacht, aber durchaus frühzeitig behandelt werden. "Es sollte klar sein, wer einen dann auffängt", sagte der Internist Ingo Schubert. Die Experten waren sich darin einig, das Demenz kann jeden treffen kann. Daher sollte man beizeiten vorsorgen, etwa durch eine Vorsorgevollmacht.Die gesetzlichen Betreuer indes hätten einen schlechten Ruf, obwohl sie "relativ gut überwacht" würden, klagte Engelhardt.

© SZ vom 10.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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