Starnberg:Frau Rotkohl und die Engel

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Ungarns bekanntester Regisseur István Szabó berührt mit Lehrsätzen. Ehrengast Eva Mattes wirkt zunächst gekünstelt

Von Gerhard Summer, Starnberg

Die zwei schwarzen Ledersofas vor der Leinwand bleiben leer. István Szabó hat zwar ein Kissen in der Hand, aber er steht lieber. Zwischendrin fragt Festivalchef Matthias Helwig besorgt nach, ob sein Ehrengast nicht doch Platz nehmen möchte, der Mann ist schließlich keine 50 mehr, aber Szabó winkt ab. Nein, sagt er in ausgezeichnetem Deutsch, wenn er erst mal sitze, komme er nicht mehr hoch. Gelächter hebt an im Starnberger Kino.

Für Szabó ist der erste Auftritt auf dem Filmfestival fast ein Heimspiel. Vorher gab es einen ungarischen Empfang, im Publikum sitzen etliche seiner Landsleute, auch die Wahl-Starnbergerin Ildikó Hajtó. Sie lernte Szabó mit 14 kennen, sie ist die Schwester des vor drei Jahren gestorbenen Filmemachers Zsolt Kézdi-Kovács, eines engen Freundes von Szabó. Und ihr hat es Helwig zu verdanken, dass Ungarns bekanntester Regisseur sich überhaupt zu diesem Festival aufgemacht hat.

Mit Szabó treffen auch die wundersamen Geschichten ein. Zwei hat Helwig schon bei der Eröffnungsfeier erzählt. Dass er auf Ildikó Hajtós Geheiß das Handy genommen und den 79-Jährigen angerufen habe, der gerade in einer Straßenbahn in Budapest saß und nur diesen einen Satz sagte: "Ja, ich komme." Und dass der Regisseur schon mal Szenen immer wieder drehen lasse und den ungeduldigen Schauspielern ("István, worauf wartest du?") schließlich erkläre: "Ich warte auf die Engel, manchmal kommen sie, und wenn sie kommen, stimmt etwas in dieser Szene."

Am Freitagabend gibt es auch noch ein paar schöne Lehrsätze dazu. Szabó spricht über Schauspieler und echte Gefühle ("die ehrliche Großaufnahme braucht Muttersprache"). Er kommt auf seine Interpreten zu sprechen und sagt, er lese gelegentlich Sachen über sich und denke sich: "Wenn es so sein soll, warum nicht?" Zum Beispiel, dass die drei Filme, die er mit Klaus Maria Brandauer gedreht hat, eine Trilogie sein sollen. Was Unfug ist, aber egal, "wenn die Journalisten sich wohlfühlen - ich liebe Menschen, die sich wohlfühlen". Und Szabó erzählt, dass er mit seinem langjährigen Kameramann Lajos Koltai zu jedem Film einen Maler aus der Kunstgeschichte auswählte, der Farben, Licht und Schatten zur jeweiligen Geschichte beisteuern sollten. Bei "Vertrauen - Bizalom" entschieden sich die beiden für Jan Vermeer. Und ja, dieser Film, sei stark von Ingmar Bergman beeinflusst. Ob das schlimm sei, dass er das so erzähle?, fragt Szabó. "Nein, nein", rufen gleich zwei, drei Frauen.

Gemeinsam mit Eva Mattes wird er als Ehrengast begrüßt. (Foto: Arlet Ulfers)

Tatsächlich trifft all das zu: Szabós sechster Film ist stark Bergman-lastig und hat jede Menge dunkle Bilder, die wie Gemälde wirken. Die größte Überraschung: Dieses intime, düstere, oft grobkörnige Kammerspiel von 1980 ist absolut zeitlos, vielleicht weil es ein existenzielles Thema behandelt: Wie reagieren ein Mann und eine Frau, die Todesangst verbindet?

Bei Eva Mattes, dem zweiten Ehrengast des Festivals, geht es am Samstag erst mal um die wilden Geschichten. Sie kommt mit dem "Sams", genauer gesagt erscheinen sie und Helwig ein wenig verspätet. Die beiden waren beim Essen im Bayerischen Yachtclub und haben sich verplaudert. Der Fahrer brachte die Schauspielerin noch dazu zur Schlossberghalle, sie musste ins Kino herunterlaufen und fächelt sich nun leicht theatralisch Luft zu.

Ohnehin wirkt sie nicht so entspannt, eher so, als seien lauter Kameras auf sie gerichtet und als müsse sie die jung gebliebene Eva Mattes spielen. Helwig und sie sprechen vor dem Film darüber, wie sie zur Rolle der Frau Rotkohl kam. Sie sagt, sie wollte zuerst absagen, weil die Figur in den Zeichnungen zu Paul Maars Bestseller "so eine dünne Schrippe war", doch ihre Agentin habe sie überzeugt. Als es um die Dreharbeiten geht, erklärt Mattes, dass das Set in einer großen Halle in Bamberg aufgebaut war, drum herum waren noch andere große Hallen. Deshalb kam sie auf die Idee, dass man doch nebenan eine Tischtennisplatte aufbauen könnte. "Und zack, haben alle gespielt". Helwig fragt: "Haben Sie gewonnen?" Die Antwort: "Immer."

Die 62-Jährige hat an diesem Samstag viel vor: Auftritte vor vier Filmen, ein paar Interviews, zwischendrin noch eine Podiumsdebatte. "Machen das nicht alle so?", fragt sie kokett. Zweieinhalb Stunden später, bei "Deutschland - bleiche Mutter", wirkt Mattes nicht mehr so gekünstelt. Sie berichtet von ihrer Zusammenarbeit mit Klaus Kinski, es geht um die Energie, die vom Dialogpartner ausgeht. Helwig erzählt Szabós Geschichte über Brandauer, der nicht auf Sprache reagiert, sondern seinem Gegenüber nur in die Augen schaut. Und Mattes sagt: Mit Kinski zu spielen, das sei so gewesen, "als ob man an eine Steckdose angeschlossen würde".

© SZ vom 31.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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